„Die Zeit schon vorbei“
IM Jahre 1649 fand in Venedig (Italien) zwischen zwei Juden eine Debatte über die Bedeutung der „siebzig Wochen“ statt (Dan. 9:24-27). Die beiden Gegner, von denen einer das Christentum angenommen hatte, erwählten sich Simone ben Isaac Simhah Luzzatto, den Oberrabbiner des Ortes, zum Schiedsrichter. Bei der Debatte war einer der Schüler Luzzattos, der Gelehrte Samuel ben David Nahmias, zusammen mit seinem Bruder Joseph zugegen. Nahmias schreibt über jenen Anlaß:
„Die beiden Gegner debattierten zuerst mutig miteinander. Doch als klar wurde, daß sich der Sieg offen dem Christentum zuneigte, schlug plötzlich Luzzatto, der als Richter des Meinungsstreites den ersten Platz innehatte, mit beiden Händen auf den Tisch und sagte:
‚Der umstrittene Text hat, wie ihr wißt, all die besten Rabbiner so gründlich verwirrt, daß sie nicht mehr wissen, ob sie im Himmel oder auf der Erde sind.‘ Und nach einigen weiteren ähnlichen Worten legte er sich den Finger auf die Lippen und fügte hinzu: ,Seien wir bitte still, und machen wir die Bücher zu, denn sollten wir noch länger über diese Prophezeiung Daniels spekulieren, so kommt es bestimmt dazu, daß wir alle Christen werden. Es ist nicht zu leugnen, daß darin deutlich gezeigt wird, daß der Messias gekommen ist, wofür die Zeit schon vorbei ist. Ob er Jesus, der Nazarener, ist, darüber möchte ich meine Gedanken nicht voreilig von mir geben.‘
So ging die Versammlung zu Ende und ebenso auch die Zuneigung, die ich und mein Bruder zur jüdischen Sekte hatten, so daß wir beide den Entschluß faßten, die christliche Religion anzunehmen“ („Via Della Fede“ [Der Weg des Glaubens] von Giulio Morosini [diesen Namen nahm Nahmias an, nachdem er Jesus als Messias anerkannt hatte]; gedruckt 1683 in Rom).