Verschiebungen im Gleichgewicht der Kräfte — Was sie bedeuten
IN DEN letzten Jahren haben sich in der Welt Ereignisse von besonderer Bedeutung abgespielt. Unter anderem ist eine auffallende Tendenz sichtbar geworden, die sich im Laufe des Jahres 1975 noch verstärkt hat.
Es sind die Verschiebungen im weltweiten Gleichgewicht der Kräfte auf politischem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet. Weshalb sind sie von solcher Bedeutung? Wegen ihrer Beziehung zu biblischen Prophezeiungen für unsere Tage. Aufmerksame Beobachter sind deshalb sehr an den Ereignissen und an deren wahrer Bedeutung interessiert.
Verschiebungen im Gleichgewicht der Kräfte unter den Nationen sind natürlich nichts Neues; es gibt sie schon seit Tausenden von Jahren. Inwiefern ist also die jetzt sichtbare Tendenz anders?
Der erste Grund ist, daß die Verschiebungen sich nicht nur auf einige wenige Gebiete des Erdballs auswirken, wie dies in der Vergangenheit meistens der Fall war, sondern die ganze Welt betreffen. Zweitens spielen sie sich zum großen Teil ohne besonderen Einfluß von Einrichtungen ab, deren sich die Nationen früher oft bedienten — den Religionen dieser Welt. Ein dritter Grund ist, daß diese Verschiebungen zu einer Zeit eintreten, die nach der Prophetie der Bibel große Bedeutung hat. All dies zusammengenommen bestätigt, daß ein gewaltiger Wendepunkt in der Geschichte nahe bevorsteht.
Kampf um die Weltmacht
Am Ende des Zweiten Weltkrieges, im Jahre 1945, stand die westliche Welt, vor allem die USA und ihre westeuropäischen Verbündeten, auf dem Gipfel der Weltmacht. Nie zuvor in der Geschichte hatte es eine solche Konzentration politischer, militärischer und wirtschaftlicher Macht gegeben.
Doch nun gewann eine andere Macht an Stärke: der Sowjetkommunismus. Der Kommunismus hatte zwar schon 1917 die Herrschaft über Rußland erlangt, blieb jedoch einige Jahrzehnte auf dieses Land beschränkt. Lediglich die Mongolei kam in den 1920er Jahren unter eine ähnliche Regierungsform. Bis 1945 aber hatten die siegreichen sowjetischen Truppen in ganz Osteuropa für kommunistische Regierungen den Weg bereitet: in Polen, Ostdeutschland, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien und Jugoslawien.
Im Jahre 1949 übernahmen in China nach einem Bürgerkrieg kommunistische Kräfte das Land; dasselbe geschah wenige Jahre später in Tibet. Ungefähr ein Jahrzehnt darauf schloß sich Kuba den kommunistischen Ländern an. Und heute, im Jahre 1975, stehen große Teile Indochinas unter kommunistischem Einfluß.
So hat der Kommunismus als politische, militärische und wirtschaftliche Kraft in weniger als 60 Jahren die Herrschaft über ein Drittel der Menschheit erlangt. Unter kommunistischer Herrschaft hat dieser Teil der Erde beachtlichen Zuwachs an Macht und Einfluß erlangt.
Wachsende Macht
Vor fast 20 Jahren rief der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow den USA folgende herausfordernde Worte zu: „Ob ihr es nun mögt oder nicht, die Geschichte steht auf unserer Seite. Wir werden euch beerdigen.“
Es hieß, Chruschtschow habe damit gemeint, die Sowjetunion werde die USA auf dem Gebiet der industriellen Stärke und der wissenschaftlichen Errungenschaften überholen und so die mächtigste und einflußreichste Nation auf Erden werden. Damals lachten viele über die Herausforderung. Doch heute ist nur wenigen zum Lachen zumute.
Die Macht der Sowjetunion hat tatsächlich enorme Ausmaße angenommen. Sie produzierte beispielsweise im Jahre 1974 mehr Öl, Stahl, Kohle und Zement als irgendein anderes Land der Welt. In der Herstellung vieler anderer Produkte ist sie ebenfalls führend, und außerdem verfügt sie über reiche Rohstoffvorkommen.
Dieses Wachstum ermöglichte es der Sowjetunion, die Grundlage für eine sich ständig ausweitende Militärmacht — die größte der Welt — zu schaffen. Der ehemalige Inspekteur der US-Kriegsmarine, Admiral Elmo Zumwalt jr., stellte fest: „Vergleicht man die zunehmende militärische Macht der Sowjetunion mit der geringer werdenden Stärke der US-Streitkräfte, so haben wir einen Punkt erreicht, an dem die militärische Überlegenheit der Sowjets Realität werden kann.“ Er fügte hinzu: „Wohin man blickt, die Veränderungen auf internationaler Ebene gehen in schwindelerregendem Ausmaß vor sich. Oft verheißen sie nichts Gutes für die Interessen der USA.“
Nicht nur die Macht der Sowjetunion nimmt zu. Auch das kommunistische China mit seinen 800 000 000 fügsamen Menschen erlebt eine schnelle Zunahme seiner industriellen und militärischen Macht. Chinas Ideologie geht zwar mit der der Sowjetunion in vielen Punkten nicht einig, ist aber trotzdem eine Herausforderung an den Westen. Diese beiden großen kommunistischen Länder haben ihren Einfluß in vielen anderen Ländern überall auf der Erde enorm vermehrt. Viele davon sind Entwicklungsländer, auch die „dritte Welt“ genannt. Wie stehen sie zur Weltpolitik?
Die Haltung der „dritten Welt“
Nach 1945 hatten die USA und Westeuropa einen sehr großen Einfluß in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Das konnte man sogar an den Abstimmungsergebnissen der UNO erkennen, der damals 51 Länder angehörten. Die überwiegende Mehrzahl der kleineren Länder stand in Fragen der Weltpolitik stets auf seiten der westlichen Länder.
Doch in den letzten Jahren hat sich das Bild sehr geändert. Immer mehr der jetzt 141 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen beziehen nun sehr oft Stellung gegen die Länder Westeuropas und die USA. Vor kurzem beklagten sich sogar einige Vertreter westlicher Länder über die „Diktatur der ... Mehrheit“.
Eine große Zahl dieser Länder der „dritten Welt“ hat seit 1945 die Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft erlangt und ihre eigene Regierungsform entwickelt. Immer mehr von ihnen schlagen einen Kurs ein, der den Interessen des Westens zuwiderläuft. Das Beispiel der Ölförderländer, die ihre Preise angehoben und die Ölproduktion verringert haben, ist bei anderen Rohstoffländern der „dritten Welt“ nicht unbeachtet geblieben. Da die Industrienationen Westeuropas über sehr geringe Rohstoffvorkommen verfügen und die USA ebenfalls von einigen Rohstoffen nur geringe Vorkommen besitzen, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage des Westens zusehends.
Ebenfalls von Interesse ist, daß die wirtschaftlichen und politischen Unternehmungen vieler Länder der „dritten Welt“ stets von der Sowjetunion und von China unterstützt werden.
Vor kurzem hat eine Anzahl weiterer Länder ihre Absicht bekanntgegeben, ihre bis dahin festen Bindungen zum Westen zu lockern. Die Zeitschrift Newsweek berichtete, daß es in mehreren Staaten der „dritten Welt“ jetzt heiße, der Regierung würden „bei Verhandlungen mit einem kommunistischen Regime keine Schwierigkeiten erwachsen“. Ein Beamter des Außenministeriums eines asiatischen Landes sagte ganz offen: „Wir sind, ganz ehrlich gesagt, der Meinung, daß eine Entspannung des Verhältnisses zu China unserem Land viel mehr Sicherheit bietet, als wenn wir uns auf amerikanische Truppen verlassen würden.“ In einem anderen Land sagte ein Botschafter: „Man ist sicherer, wenn man ein Verbündeter der Kommunisten ist; es hat den Anschein, daß es verhängnisvoll ist, mit den USA verbündet zu sein.“
Von anderer Seite wird natürlich eingewendet, derartige Ansichten seien übertrieben. Doch allein die Tatsache, daß sie geäußert werden, beweist, daß sich bei vielen Politikern, die früher unter dem Einfluß des Westens standen, ein Gesinnungswandel vollzieht.
Schwere Rückschläge
Die Rückschläge, die der Westen in der letzten Zeit erlitten hat, sind von sehr ernster Natur. Die Leitartikelschreiber Evans und Novak beispielsweise nannten die Niederlage der USA in Indochina in der New York Post „die größte außenpolitische Niederlage in der Geschichte unserer Nation“.
Das hat dazu geführt, daß es in einem Kommentar des Wall Street Journal von Vermont Royster (Paris) hieß: „Sind die USA in militärischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht als Weltmacht im Niedergang begriffen? Mit verschiedenen Formulierungen stellen sich die Europäer diese Frage zur Zeit gegenseitig in ihren Unterhaltungen, auf den Sitzungen der Politiker und in der Presse.“ Er fügte hinzu, die Niederlage in Südostasien sei „wohl kaum allein für den Verlust des Ansehens der USA in Westeuropa verantwortlich, sondern sei lediglich der auslösende Faktor gewesen, der alle auf diesen Verlust aufmerksam gemacht habe. Eine weitere harte Tatsache ist nämlich, daß Amerikas wirtschaftliche und politische Macht schon seit langer Zeit im Schwinden begriffen ist.“
Beobachter weisen auch auf andere politische Rückschläge hin, die der Westen in der letzten Zeit überall auf der Erde erlitten hat. Der Kommentator Carl Rowan schrieb:
„Der Südostasienpakt (SEATO) liegt im Sterben, und der Einfluß der USA im Fernen Osten scheint einen Tiefstand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht zu haben. Der Nordatlantikpakt (NATO) ist in einer schlechten Verfassung ...
In Indien und in der arabischen Welt steigt der Einfluß der Sowjets und sinkt der der USA ... Und obwohl man darüber nicht viel spricht, haben sich die Beziehungen der USA zu Kanada und Lateinamerika in der letzten Zeit erheblich verschlechtert.“
Ein westlicher Regierungsbeamter, der die Lawine von Problemen behandelte, die in der letzten Zeit niedergegangen ist, sagte: „Wir wissen gar nicht mehr, wo uns der Kopf steht vor all den Rückschlägen.“
William Safire, Fachjournalist für Politik, kam zu dem Schluß, daß „der Gang der Weltereignisse gegen [den Westen] gerichtet ist“. US-Außenminister Henry Kissinger sprach von einer „weitreichenden Wende in der Außenpolitik vieler Länder“. C. L. Sulzberger von der New York Times schrieb: „Die Lage der freien Welt hat sich schnell verschlechtert.“ Er führte einen führenden europäischen Staatsmann an, der sogar so weit ging zu sagen, daß „wir uns dem Zusammenbruch der westlichen Zivilisation gegenübersehen“. Im Wall Street Journal hieß es außerdem: „Es ist sehr gut möglich, daß die westlichen Demokratien, auf lange Sicht gesehen, ihren Höhepunkt in der Geschichte überschritten haben.“
Der Meinungsumschwung zeigt sich auch darin, daß eine größer werdende Zahl von Menschen in vielen verschiedenen Ländern sich fragt, ob es sich lohne oder ob es konsequent sei, wenn man gegen die kleinen kommunistischen Länder kämpfe und zur selben Zeit die Beziehungen zu den großen — der Sowjetunion und China — verbessere. Dazu gehören offenbar auch Personen in den USA, denn in der Zeitschrift U.S. News & World Report hieß es: „Viele Kongreßmitglieder — besonders die neueren — sind der Ansicht, es sei an der Zeit, die ganze, seit Ende des Zweiten Weltkrieges beibehaltene Politik, die darauf gezielt habe, den Kommunismus in Schach zu halten, zu revidieren. Ihnen stehen die großen Risiken und die Ausgaben vor Augen sowie die unbedeutenden Ergebnisse, die dadurch erzielt werden.“ Viele andere stimmen damit natürlich nicht überein.
Die Bedeutung
Es mag zwar verfrüht sein zu sagen, die Weltmachtstellung habe sich vollständig auf die eine oder andere Seite verlagert, doch eines ist sicher: Der relative Einfluß und die Macht, die die Länder des Westens — der Christenheit — einmal ausübten, sind geringer geworden.
Neue Herrscher, die in vielen Ländern an die Macht gekommen sind, fühlen sich nicht verpflichtet, die alten Bindungen zur westlichen Welt und zu ihren Kirchen aufrechtzuerhalten. Viele von ihnen sind nicht religiös. Wenn sie einem Problem gegenüberstehen, lösen sie es, ohne auf religiöse Interessen Rücksicht zu nehmen.
Nationalismus und Machtpolitik sind heute bei weitem stärker als die Religion. In Krisenzeiten reagieren die Menschen heute zum größten Teil auf die Aufrufe ihrer Politiker sowie der Gewerkschaftsführer und der Militärs, doch nicht auf die Appelle von religiöser Seite. So sagte ein Kommentar im Wall Street Journal:
„Wir alle haben die Neigung, uns mehr und mehr auf politische Führer zu verlassen. In gewissem Sinne haben sie die Leere ausgefüllt, die nach dem Niedergang der Religion und dem anderer Autoritäten in moralischen Fragen entstanden ist.“
In fast jedem Land der Erde haben sich viele von der althergebrachten Religion abgewandt. Einen Beweis für die schwindende Bedeutung der Religion bildet das Ergebnis einer Umfrage unter Amerikanern, die sich auf verschiedene Gebiete bezog. Als man die Befragten aufforderte, 24 einflußreiche Institutionen aufzuführen, wurde die Religion als vorletzte genannt!
Welche Bedeutung hat es nun, daß sich das Gleichgewicht der Kräfte verschiebt, daß die Nationen der Christenheit an Einfluß verlieren und daß sich das Denken und die Weltanschauungen zunehmend vom Einfluß der Religion lösen? Es bedeutet, daß bald die Zeit kommt, in der Gott die Religionen der Welt für ihre jahrhundertelange Einmischung in die Politik, ihre Unterstützung schrecklicher Kriege, ihre Heuchelei und Falschdarstellung des Schöpfers zur Rechenschaft ziehen wird.
In der Bibel wird das Weltreich der falschen Religion als eine Prostituierte, eine Hure, dargestellt. Weshalb? Weil sie sich an diese Welt verkauft hat, statt ein enges Verhältnis zu Jehova Gott zu suchen. Ein Kommentator der Zeitschrift Newsweek schrieb hierüber:
„Es muß Gott zutiefst geschmerzt haben, als die Menschen die Sklaverei erfanden und sie göttlichen Ursprungs nannten oder als sie im Namen Jesu die Scheiterhaufen der Inquisition anzündeten. Es muß denselben Gott immer noch schmerzen, wenn wir [durch Kriege] das Land verwüsten und dies als Ausführung seines heiligen Willens bezeichnen. ...
Dadurch ist die Religion treulos geworden, sie läßt sich vom Stolz statt von Gott leiten.“
Biblische Prophezeiungen für unsere Tage zeigen, daß sich die Mitgliednationen der UNO binnen kurzem in ihrem Zorn und ihrer Abscheu auf die hurengleichen Religionen der Welt stürzen werden. Gottes Wort beschreibt dieses Ereignis in symbolischer Sprache. Es heißt, diese Mitgliednationen „werden die Hure hassen und werden sie verwüsten und nackt machen und werden ihre Fleischteile auffressen und werden sie gänzlich mit Feuer verbrennen“ (Offb. 17:16). Daher werden diejenigen, die noch den Religionen dieser Welt angehören, gewarnt: „Geht aus ihr hinaus, mein Volk, wenn ihr nicht mit ihr teilhaben wollt an ihren Sünden und wenn ihr nicht einen Teil ihrer Plagen empfangen wollt“ (Offb. 18:4).
Wenn Gottes Gericht gegen die weltlichgesinnten Religionen einsetzt, wird dies den Beginn dessen kennzeichnen, was Jesus Christus die „große Drangsal“ nannte, „wie es seit Anfang der Welt bis jetzt keine gegeben hat, nein, noch wieder geben wird“ (Matth. 24:21). Wer wird sie überleben? Gottes Wort antwortet: „Die Welt vergeht ..., wer aber den Willen Gottes tut, bleibt immerdar“ (1. Joh. 2:17).
Die Verschiebungen im Gleichgewicht der Kräfte, die gegenwärtig zuungunsten der Christenheit vor sich gehen, und die Tendenz zur Loslösung von religiösem Einfluß sind also von großer Bedeutung. Dadurch wird uns zu verstehen gegeben, daß wir uns der Zeit der Vollstreckung des Gerichts Gottes an dem ganzen System der Dinge nähern, das bei der falschen Religion beginnen wird. Diese wichtigen Ereignisse unserer Tage und ihre tiefere Bedeutung verdienen daher bestimmt unsere volle Aufmerksamkeit. Unser Leben wird davon abhängen, welche Schlußfolgerungen wir daraus ziehen.