Der mächtige Sambesi
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Simbabwe
DER Ort: ein Hügelland in Nordsambia, 1 500 Meter über dem Meer. Eine ungewöhnliche Geburt findet statt. Der mächtige Sambesi, der unter den afrikanischen Flüssen die vierte Stelle einnimmt — er kommt nach dem Nil, dem Kongo und dem Niger —, wird hier geboren.
Aus einem schwarzen Sumpf sprudelt Wasser hervor und bildet einen kleinen Bach. Dieser hüpft und springt über die Steine wie ein ausgelassener Junge. Allmählich bildet er einen mächtigen, majestätischen breit dahinfließenden Strom, der in den Indischen Ozean mündet.
Der gewaltige Sambesi ist schon seit Jahrtausenden der Wasserspender der Bevölkerung Zentralafrikas und trägt zu ihrem wachsenden Wohlstand bei. Der Strom wird durch den riesigen Karibadamm dazu genutzt, die Industrie der zwei dort aneinandergrenzenden Länder mit elektrischer Energie zu versorgen und das Leben Tausender von Afrikanern zu modernisieren.
Der Oberlauf des Sambesi
Möchtest du den über 3 000 Kilometer langen Fluß von seiner Quelle bis zu seiner Mündung am Indischen Ozean kennenlernen? Diesen Wunsch hatte in den 1850er Jahren auch der schottische Afrikaforscher David Livingstone. Er mußte aber gegen Fieber, Tsetsefliegen und Moskitos kämpfen. Das brauchst du nicht.
Nur etwa 30 km nach der Quelle ist der Sambesi schon ein fast 15 Meter breiter Fluß. Durch seine vielen Nebenflüsse wird er immer wasserreicher, während er seinen Lauf in Richtung Barotseland fortsetzt. Hier lebt seit vielen Generationen das Bantuvolk der Rotse (Lozi). Der Sambesi versorgt sie mit Trinkwasser, in ihm baden sie, fischen sie, und mit Wasser vom Sambesi kochen sie. Tradition und Zauberei blühen immer noch in diesem Gebiet.
Eine Frau, die hier wohnt, erzählte, daß sie gern Kinder gehabt hätte, doch unfruchtbar blieb. Der Medizinmann diagnostizierte die Ursache. Er behauptete, ein großer Vogel picke die Kinder jeweils aus ihrem Leib weg — gerade das Gegenteil der im Westen von alters her herrschenden Auffassung, wonach der Storch die Kinder bringe. Der Medizinmann riet ihr, vor ihrem Haus eine kleine Schutzgottheit aufzustellen. Sie verfertigte aus einer halben Flaschenkürbisschale ein Nest und legte ein Ei hinein, so daß der große Vogel, wenn er käme, das Ei anstatt ihres Kindes nehmen würde. Aber obschon nun das Götzenbild vor dem Haus der Frau stand, blieb sie unfruchtbar. Götzenbilder sieht man überall, und sie zeigen, daß diese Menschen immer noch in Aberglauben verstrickt sind.
Der Sambesi ist ein Fluß, aber in den Monaten Februar, März und April gleicht er eher einem großen See, denn dann ist alles überschwemmt, so weit das Auge reicht.
In der Regenzeit steigt der Sambesi um etwa 12 Meter an. Jedes Jahr, wenn er über die Ufer tritt, ziehen sich die Tausende von Dorfbewohnern aus der Flußniederung auf die Hochufer zurück. Das ist mit einer Zeremonie verbunden, die „Kuomboka“ genannt wird. Der Oberhäuptling wird in seiner königlichen Barke über den Fluß gepaddelt und zu seinem Sommerpalast geleitet. Tausende ziehen mit ihm und singen dabei traditionelle Lieder. Bei seiner Ankunft wird er mit Tänzen begrüßt.
Wir verlassen jetzt die Ebene und kommen an anderen Siedlungen vorbei. Schließlich treffen wir in Sescheke ein. Hier hat David Livingstone am 4. August 1851 zum erstenmal den majestätischen Fluß bewundert. Könnte Livingstone den Sambesi jetzt sehen, würde ihm kaum eine Veränderung auffallen. Für riesige Tierherden ist der Fluß mit seinem glasklaren Wasser auch heute noch eine Quelle der Erfrischung.
Victoriafälle
Wir haben bereits 1 300 Kilometer zurückgelegt, und der Sambesi hat nun stellenweise eine Breite von etwa drei Kilometern. Vor uns liegt einer der großartigsten Wasserfälle der Welt. Hörst du das Donnern des Wassers, das auf einer Breite von etwa zwei Kilometern in mehreren nebeneinanderliegenden Teilfällen in eine 110 Meter tiefe Schlucht stürzt? Siebenundfünfzig Millionen Liter Wasser stürzen in der Minute in die Tiefe. Wie ein geheimnisvoller Dunst steigt der Sprühnebel etwa 300 Meter zum klarblauen Himmel hoch. Die Eingeborenen nennen die Victoriafälle Mosivatunya (donnernder Rauch).
David Livingstone hat diese Fälle 1855 „entdeckt“ und sie nach der Königin Victoria von England benannt.
Die durchschnittliche Wasserführung beträgt 57 000 Kubikmeter in der Minute, in der Regenzeit hat man jedoch bis 602 000 Kubikmeter in der Minute gemessen. Das ist so viel Wasser in einer Minute, daß man damit 10 000 Personen vier Jahre lang jeden Tag ein Bad bereiten könnte.
Siehst du die Schilder dort am Flußufer? „Hier ist Baden Selbstmord“. Das Wasser ist zwar herrlich und kristallklar, dennoch kann man nicht darin baden, weil man um seine Beine oder gar um sein Leben fürchten müßte; denn in diesem schönen Fluß lauert im verborgenen eine Gefahr — Krokodile.
Tongaschlucht und Karibasee
Dieser mächtige Strom muß sich plötzlich durch eine schmale Schlucht winden, eingeschnitten in das zentralafrikanische Plateau. Der Wasserstand sinkt nie unter 15 Meter, und in der Regenzeit steigt er auf über 30 Meter. Wir fahren knapp 100 Kilometer durch die Tongaschlucht, benannt nach dem Bantunegerstamm der Tonga. Es ist eine unwirtliche Gegend, wo die Felsen nur von harten, trockenen Büschen bewachsen sind. Knapp 40 Kilometer unterhalb der Victoriafälle hat der Fluß eine über 240 Meter tiefe Schlucht ausgehöhlt.
Als nächstes gelangen wir zum Karibasee, einem der größten künstlichen Seen der Welt. Er hat eine Länge von über 250 Kilometern. Als der Karibadamm gebaut und der Sambesi gestaut wurde, mußten 50 000 Tonga umgesiedelt werden.
Dieser riesige Stausee ist für die Bevölkerung ein wertvoller Fischgrund geworden. In nur 14 Wochen wurden mehr als 600 000 kg Fische gefangen, die von der einheimischen Bevölkerung verzehrten Fische nicht mitgerechnet.
Wir lassen den Damm hinter uns, passieren jetzt eine schmale, über 20 Kilometer lange Schlucht und gelangen in eine paradiesische Gegend mit üppiger grüner Vegetation. Hier leben, vor abenteuerhungrigen Jägern geschützt, Büffel, Flußpferde, Elefanten, Hyänen und Vögel jeder Art.
Vom Mittellauf des Sambesi bis zum Indischen Ozean
Wir sind jetzt am Mittellauf des Sambesi und haben das felsige Gebiet hinter uns gelassen. Links und rechts von uns dehnt sich die schöne Chicoraebene aus, durch die sich der Strom knapp 100 Kilometer weit windet. Die Ufer sind gesäumt mit immergrüner üppiger Vegetation.
Plötzlich ist es aus mit der feierlichen Stille. Man hört das Donnern der ungeheuren Wassermassen, die sich über die Felsen der Quebrabasa-Stromschnellen stürzen.
Als nächstes kommt die etwa 1 200 m tiefe Lupataschlucht. Wie in einem letzten Kraftaufwand stürzt sich der Fluß wild über zerklüftete Felsen. Mit nimmermüder Energie bahnt sich das schäumende Wasser seinen Weg. Nachdem der Fluß die Schlucht verlassen hat, wird er ruhiger. Als hätte er seine Kraft verbraucht, zieht er jetzt in einer Breite von fünf bis acht Kilometern gemächlich dahin. Die letzten 300 Kilometer fließt er in großen Windungen durch ein breites Tal.
Dann löst er sich in eine Reihe Flußarme auf und mündet in einem Delta in den Indischen Ozean. Unsere aufregende Fahrt endet, wo der Fluß seine Identität verliert. Sein Wasser, vorher kristallklar, jetzt aber vom Deltasand braun gefärbt, mischt sich mit dem warmen, blauen Salzwasser des Indischen Ozeans.
Livingstone nannte den Sambesi „Gottes Weg in das Innere des Landes“. Wir schätzen den Sambesi als einen der vielen Ströme, die unsere Heimat, die Erde, verschönern und uns, ihren Bewohnern, Wasser spenden.
[Karten auf Seite 21]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
SIMBABWE
SAMBESI
ANGOLA
SAMBIA
MOÇAMBIQUE
Victoriafälle
Karibasee
Karibadamm
Indischer Ozean
[Karte]
AFRIKA
Niger
Nil
Kongo
Sambesi
[Bild auf Seite 22]
Hier ist Baden Selbstmord