Der Alkohol und du
„Joe, ich glaube, du hast ein Glas zuviel getrunken“, sagt die Gastgeberin.
„Wer, ich?“ erwidert Joe lallend. „Ich bin vollkommen klar!“
„Mag sein, aber trinke lieber noch eine Tasse Kaffee, bevor du nach Hause fährst.“
EIN guter Rat? Bestimmt nicht! Wenn Joe wirklich ein Glas zuviel getrunken hat, dann wird er nach einer Tasse Kaffee nicht sicherer nach Hause fahren. Auch frische Luft, eine kalte Dusche oder etwas Bewegung bewirkt das nicht. All das kann Joe zwar in gewissem Maße beleben, aber das einzige, was ihm hilft, nüchtern zu werden, ist Zeit. Um das besser verstehen zu können, ist es nützlich, sich einmal näher damit zu beschäftigen, wie der Körper Alkohol verarbeitet.
Wie Alkohol wirkt
Wenn man etwas Alkoholisches getrunken hat, ist der Alkohol sozusagen „begierig“ darauf, ins Blut einzudringen.a Im Unterschied zu festen Speisen muß er nicht verdaut werden. Zwanzig Prozent des Alkohols gelangen unverzüglich über die Magenwände ins Blut. Der Rest des Alkohols wird über den Dünndarm ins Blut aufgenommen.
Wie Alkohol bei dem einzelnen wirkt, hängt davon ab, wie hoch der Alkoholgehalt des Blutes steigt; und wie schnell er ansteigt, hängt wiederum von mehreren Faktoren ab.
1. Die aufgenommene Alkoholmenge: Wieviel Alkohol nimmt man bei einem normalen Drink zu sich? Enthält eine Dose Bier weniger Alkohol als ein Glas Whisky? So überraschend es scheinen mag, ob es sich um eine übliche Dose Bier, ein Glas Wein oder ein Glas 40prozentigen Whisky handelt, sie alle enthalten ungefähr die gleiche Menge Alkohol — etwas mehr als 15 ccm.b
In dem Bericht Physiological Effects of Alcohol (Physiologische Wirkungen des Alkohols), herausgegeben vom Staatlichen Institut zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs und des Alkoholismus in den USA, kommt man zu folgendem Schluß: „Geht man von der Wirkung aus, die der Alkoholgenuß auf den Sinn und den Körper des einzelnen hat, dann ist es wirklich unerheblich, ob der Betreffende Wein, Bier oder hochprozentige Alkoholika bevorzugt — wesentlich ist, wieviel reinen Alkohol [umgerechnet] jemand zu sich genommen hat.“
2. Die Resorptionsgeschwindigkeit: Die Zeit, in der der Alkohol ins Blut übergeht, wird von einer Reihe Faktoren beeinflußt. Die zuvor aufgenommene Nahrung ist ein Faktor. Das heißt, daß die Speisen im Verdauungstrakt auf den Alkohol verdünnend wirken und die Aufnahme ins Blut verzögern. Bei jemandem, der zum Mittagessen ein Glas Wein trinkt, wird der Blutalkoholgehalt also weniger hoch ansteigen, als wenn er die gleiche Menge Alkohol auf nüchternen Magen getrunken hätte. Auch die Trinkgeschwindigkeit kann sich auf die Resorption auswirken. Zwei Gläser, in wenigen Minuten getrunken, haben eine größere Wirkung als zwei Gläser, die jemand im Verlauf von zwei Stunden trinkt.
Das Körpergewicht ist ein weiterer Faktor. Weshalb? Einfach deshalb, weil ein schwerer Körper mehr Körperwasser enthält, auf das sich der Alkohol verteilt. In dem Bericht Development of a Traffic Safety and Alcohol Program for Senior Adults (Erarbeitung eines Verkehrssicherheits- und Antialkoholprogramms für Erwachsene)c wird erklärt: „Der Körper einer 73 kg schweren Person enthält ungefähr 50 Liter Wasser, auf das sich der Alkohol verteilt. Nach dem Genuß von drei Drinks in einer Stunde würde die Blutalkoholkonzentration etwa 0,7 Promille betragen. Würde jemand, der 45 kg wiegt, dieselbe Menge in der gleichen Zeit trinken, so stiege die Alkoholkonzentration im Blut auf 1,1 Promille, und das würde es rechtfertigen, den Betreffenden wegen Trunkenheit am Steuer festzunehmen.“
Auch der Alkoholgehalt des Getränks beeinflußt die Resorptionsgeschwindigkeit. Das heißt, je mehr Alkohol das Getränk enthält, desto schneller wird er resorbiert.
Somit läßt sich die Aufnahme des Alkohols ins Blut innerhalb gewisser Grenzen beschleunigen oder verlangsamen, wenn man die zuvor genannten Faktoren berücksichtigt. Aber es gibt noch einen weiteren Faktor, der dafür bestimmend ist, wie hoch der Alkoholgehalt des Blutes ansteigt.
3. Die Abbaugeschwindigkeit: Sobald der Alkohol ins Blut gelangt ist, beginnt der Körper, ihn abzubauen. Ein geringer Prozentsatz (zwischen 2 und 10 Prozent) wird durch die Haut, die Atmung und die Nieren unverändert ausgeschieden. Der Hauptanteil wird vorwiegend in der Leber oxidiert oder „verbrannt“, indem der chemische Aufbau des Alkohols unter Abgabe von Wärme und Energie verändert wird.
Wie schnell wird der Alkohol in der Leber abgebaut? Die Abbaugeschwindigkeit kann von Person zu Person geringfügig schwanken, je nach Gewicht und Gesundheitszustand. Nach dem Bericht von Dr. Malfetti und Dr. Winter „kann als Anhaltspunkt dienen, daß eine 68 kg schwere Person in einer Stunde den Alkohol von einem Glas eines alkoholischen Getränks oxidiert oder ‚verbrennt‘“.
Inwiefern kann aber der Alkoholgehalt des Blutes steigen, wenn die Leber sofort damit beginnt, den Alkohol abzubauen? Die Antwort ist einfach: Wenn die Resorptionsgeschwindigkeit höher ist als die Abbaugeschwindigkeit, dann steigt der Alkoholgehalt des Blutes. In dem Bericht Physiological Effects of Alcohol wird das wie folgt veranschaulicht: „Das läßt sich sehr gut mit dem Schöpfen von Wasser aus einem lecken Boot vergleichen: Sobald der Alkohol durch das ‚Leck‘ schneller ins Blut eindringt, als der Körper es wieder ‚herausschöpfen‘ kann, steigt der Spiegel oder die Konzentration.“ Und je höher der Alkoholgehalt des Blutes steigt, desto höher ist der Trunkenheitsgrad des Betreffenden.
Während also der Alkohol sozusagen ziemlich „begierig“ darauf ist, in die Blutbahn einzudringen, läßt er sich Zeit, sie wieder zu verlassen. Die „Verbrennung“ des Alkohols erfolgt im Körper mit einer unveränderlichen Geschwindigkeit. Und solange nicht alles abgebaut ist, solltest du dich nicht ans Steuer setzen. Warum nicht? Weil der Alkohol dich auf mehreren Gebieten beeinflußt, die für das sichere Steuern eines Autos wesentlich sind.
[Fußnoten]
a Mit „Alkohol“ ist hier Äthylalkohol oder Äthanol gemeint. Es gibt zwar noch andere Alkohole wie Methylalkohol oder Isopropylalkohol, aber diese sind giftig.
b Übliche Getränkeeinheiten sind: 0,3 Liter Bier mit vier bis fünf Prozent Alkohol, 0,15 Liter Wein mit 12 Prozent Alkohol oder 4,4 cl 40prozentiger Whisky.
c Der Bericht von Dr. James L. Malfetti und Dr. Darlene J. Winter wurde vom Safety Research and Education Project, Teachers College, Columbia University vorbereitet und von der American Automobile Association gefördert.
[Bild auf Seite 5]
Wird er nach einer Tasse Kaffee sicherer fahren, wenn er ein Glas zuviel getrunken hat?