Der Baseballsport und sein Platz
SPORT wurde bei uns zu Hause schon immer großgeschrieben. Ich bin in Oregon (USA) aufgewachsen, und als Schüler begeisterte mich der Sport, vor allem Baseball, Football, Leichtathletik und Ringkampf.
Mit dreizehn Jahren wuchs mein Interesse an Baseball, denn mein Vater wurde damals Baseballtrainer. Mit der Zeit durften mein Bruder und ich Vater zu den Spielen der oberen Baseball-Ligen begleiten. Das weckte mein Interesse für diese Sportart mehr und mehr.
Anfänge als Schiedsrichter
Ich war erst 15 Jahre alt, als sich mir die Gelegenheit bot, eine Laufbahn einzuschlagen, von der ich dachte, sie würde in meinem Leben stets den ersten Platz einnehmen. Da ich mich sehr für Baseball interessierte und mich gut darin auskannte, bat man mich, bei Spielen zwischen Jugendmannschaften die Rolle des Schiedsrichters zu übernehmen. Man bot mir dafür sogar Geld an. Ich lehnte die Bezahlung anfangs ab, weil es mir Freude machte, Schiedsrichter zu sein, und ich andernfalls den Amateurstatus verloren hätte. Das hätte für mich bedeutet, in der Schule nicht mehr an Sportwettbewerben teilnehmen zu können.
Mit der Zeit reifte in mir der Gedanke, Baseball zu meiner Lebensaufgabe zu machen. Deshalb fungierte ich schließlich gegen Bezahlung als Schiedsrichter auf halbprofessioneller Basis. Im Sommer leitete ich jede Woche 15 Spiele. Meine Arbeit begann jeweils am Wochenende frühmorgens. Das Pensum waren 3 bis 4 Spiele am Tag. Dazu kamen Doppelveranstaltungen an Wochentagen.
Meine Liebe zum Sport weckte in mir den Wunsch, den Sport beruflich auszuüben, und zwar als Baseballschiedsrichter. Ich verließ das College, das ich drei Jahre lang besucht hatte, und ging auf eine Oberliga-Schiedsrichterschule in Florida.
Mit 21 Jahren hatte ich die Schule abgeschlossen. Das war 1957. Für die damalige Zeit war ich einer der jüngsten professionellen Schiedsrichter. Meine Laufbahn begann mit einem Vertrag bei der Georgia-Florida-Baseball-Liga.
Ein anderes Bedürfnis
Im ersten Jahr war für mich so gut wie alles neu, und meine Arbeit machte mir wirklich Freude. Mit der Zeit erkannte ich jedoch, daß das Leben nicht nur aus dem Beruf besteht. Ich hatte das Gefühl, das Leben müsse auch vom Glauben an eine höhere Macht geprägt sein.
Ich dachte, dazu reiche es aus, sonntags den Gottesdienst zu besuchen, sofern mir der Baseballsport dies erlaube. In welche Kirche ich ging, war mir gleich. Aber ich muß sagen, daß einige Kirchenbesucher mir als Nordstaatler nicht gerade das Gefühl gaben, ihnen willkommen zu sein.
Nach Ende der ersten Spielsaison kehrte ich nach Oregon zurück und wartete die nächste ab. Dort kam ich mit Zeugen Jehovas in Berührung. Sie führten mit mir mehrere Male ein Bibelstudium durch. Je mehr ich aus der Bibel kennenlernte, desto anziehender wirkten die biblischen Wahrheiten auf mich, besonders die Verheißung, daß bald ein neues, gerechtes System die gegenwärtige, im Verfall begriffene alte Welt ablösen wird.
Ich schätzte das Neugelernte, obschon mir klar war, daß ich noch weit mehr lernen mußte. Doch das, was ich bereits über die Hoffnung wußte, die die Bibel für die Zukunft gibt, reichte aus, mit anderen darüber zu sprechen, als ich mit dem Bus zur Schiedsrichterschule in Richtung Süden nach Südkarolina fuhr, wo ich Unterricht gab. Das war im Januar 1958.
Später, es war während der Trainingszeit im Frühjahr, traf ich Vorbereitungen für die Taufe. Das war ungefähr sechs Monate nachdem ich mit Jehovas Zeugen in Berührung gekommen war. Gegen Ende der Trainingszeit wurde ich anläßlich eines Kreiskongresses der Zeugen Jehovas in Florida getauft. Dadurch symbolisierte ich meine Hingabe an Gott und bekundete öffentlich den Wunsch, fortan den Willen Gottes zu tun.
Die 58er Saison führte mich als Schiedsrichter von einer Stadt zur anderen. Sooft es mir möglich war, besuchte ich in der jeweiligen Stadt die Zusammenkünfte im Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Ich traf auch Verabredungen mit anderen Zeugen, um sie bei ihrer Predigttätigkeit zu begleiten.
Ein ungelöstes Problem
Einige Monate später wurde mir ein noch ungelöstes Problem bewußt. Ich wußte, daß das Zusammenkommen mit anderen Christen nicht nur etwas ist, was man eben gern tut. Gemäß Hebräer 10:24, 25 ergeht folgende Aufforderung: „Laßt uns aufeinander achten zur Anreizung zur Liebe und zu vortrefflichen Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht aufgeben, wie es bei einigen Brauch ist, sondern einander ermuntern, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht.“
Ich erkannte, daß der Tag des Gerichts Gottes an dieser verderbten Welt immer näher rückt, und daher gewann das Gebot, das Zusammenkommen mit meinen Glaubensbrüdern nicht aufzugeben, für mich an Dringlichkeit. Aber wie sollte ich diesem Gebot nachkommen, wenn die Zusammenkünfte zu Zeiten stattfanden, wo mich der Baseball in Anspruch nahm? Aus diesem Gewissenskonflikt kam ich die ganze Saison über nicht heraus.
Nach Saisonende kehrte ich wieder nach Hause zurück. Jetzt war es mir möglich, allen zum christlichen Leben gehörenden Betätigungen nachzugehen, zu denen ich mich verpflichtet fühlte. Ich erzählte auch meinen Eltern, daß ich ein Zeuge Jehovas geworden war. Sie freuten sich nicht besonders darüber, aber sie nahmen es schließlich hin. Ihnen fiel auf, daß mein Glaube nun das Wichtigste in meinem Leben wurde, ja wichtiger als Baseball.
Im darauffolgenden Jahr, im Jahre 1959, wechselte ich in eine höhere Liga über, in die Nordwest-Baseball-Liga. Ich richtete es ein, regelmäßiger als bisher die Zusammenkünfte zu besuchen und mich öfter am Predigtdienst zu beteiligen. Meine Tätigkeit brachte es mit sich, daß ich alle paar Tage in eine andere Stadt kam und so nach meiner Ankunft mit der Ortsversammlung der Zeugen Jehovas die Zusammenarbeit im Predigtdienst vereinbaren mußte. Auf diese Weise genoß ich den Vorzug, mit vielen erfahrenen, reifen Christen zusammenzusein. Von ihnen konnte ich viel lernen, und sie waren mir eine große Hilfe.
Aber ich konnte mich immer noch nicht völlig auf die geistigen Interessen in meinem Leben konzentrieren. Mein ständiges Reisen zu Baseballspielen mußte sich zwangsläufig nachteilig auf meine christliche Tätigkeit auswirken. Und so war es auch. Mir war klar, wie schwierig es für mich war, in einer Versammlung Fuß zu fassen und meine Predigttätigkeit wirksamer zu gestalten, solange ich so viel unterwegs war.
Der Wunsch, mehr zu tun
Nach der 59er Spielsaison faßte ich den Entschluß, mich meinen christlichen Verpflichtungen mehr als bisher zu widmen. Deshalb setzte ich mich zwei Monate lang jeden Tag ganz dafür ein. Als junger, lediger Mann fragte ich mich auch, ob ich mich um den Dienst in der Zentrale der Zeugen Jehovas in New York bewerben sollte. Eine Unterhaltung mit einem langjährigen Zeugen machte mir Mut, es zu tun.
Daher entschloß ich mich im Dezember desselben Jahres, mich um den Dienst in der Weltzentrale der Zeugen Jehovas in New York, auch Bethel genannt, zu bewerben. Doch genau zur selben Zeit wurde mir ein neuer Vertrag angeboten. Der Verbandspräsident stellte mir eine Beförderung in eine höhere Liga in Aussicht, die Pacific-Coast-Liga, sofern ich ein weiteres Jahr dem Baseball treu bliebe. Genau dieses Ziel hatte ich vor Augen gehabt, als ich das erstemal als Schiedsrichter ein Spiel leitete!
Was jetzt? Für mich gab es kein Wenn und kein Aber. Ich lehnte das Angebot des Verbandspräsidenten dankend ab und zog mich vom Profibaseball zurück. Im Leben gab es weit Wichtigeres als Baseball. Ich hatte erkannt, daß wir in einem kritischen Abschnitt der Weltgeschichte leben und andere Dinge im Leben Vorrang haben sollten. Meine Bewerbung um den Dienst in der Zentrale der Zeugen Jehovas wurde Anfang 1960 angenommen, und ich ging dorthin, um einen neuen Lebensweg zu beschreiten.
Im Baseballsport mitzuwirken hatte mir zwar sehr viel Freude gemacht, doch ich muß auch einräumen, daß manches unerfreulich war. Es gab zum Beispiel Zeiten, wo die Lage gespannt war, weil Spieler und Mannschaftsleiter — und Fans — mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden waren. Sie gaben mir das deutlich zu verstehen. Nicht nur einmal mußte ich mich wegen solcher Zwischenfälle in ärztliche Behandlung begeben. Diesem Teil der Spiele trauere ich gewiß nicht nach.
Ich bereue nichts
Habe ich es je bereut, die Baseballkarriere zugunsten des christlichen Dienstes an den Nagel gehängt zu haben? Nein, nie! Ein Ereignis im Jahre 1963 bestärkte mich in dem Gedanken, daß meine Entscheidung richtig war. In New York befindet sich bekanntlich das berühmte Yankee-Stadion, wo die New Yorker Baseballmannschaft spielt. Als ich noch Schiedsrichter war, träumte ich davon, eines Tages Spiele in den großen Ligen zu leiten, auch in diesem Stadion.
Und tatsächlich war ich im Sommer 1963 im Yankee-Stadion — aber um einem großen, internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas beizuwohnen. Es war viel begeisternder, mit Zehntausenden von Dienern Gottes zusammenzusein, als in diesem Stadion ein Baseballspiel zu leiten. Ich durfte sogar beim Programm mitwirken, und die Bühne, auf der ich stand, war nicht weit entfernt vom Heimbase. Ich dachte bei mir: „Wieviel besser ist es doch, aus diesem Grund im Stadion zu sein, als ein Ballspiel zu leiten!“ Ich muß sagen, daß mich dieser Anlaß mit tiefer Zufriedenheit erfüllte.
Während meiner Zeit im Bethel lernte ich Joanne kennen, meine jetzige Frau. Sie gehörte zu einer New Yorker Versammlung der Zeugen Jehovas und stand dort im Vollzeitdienst. Bedingt durch unsere Heirat, schied ich 1964 nach 4 Jahren Dienst aus dem Bethel aus. Eine ganze Anzahl von Jahren waren meine Frau und ich dann im Vollzeitdienst tätig. Während dieser abwechslungsreichen Jahre durften wir Versammlungen in Vermont und Wyoming unterstützen. Und wie stärkend es doch ist, eine Frau zu haben, die die gleichen Interessen hat!
Im Jahre 1969 mußten wir jedoch nach Oregon zurück, da mein Vater ernsthaft erkrankt war. Ein Jahr darauf kam unsere Tochter Elise zur Welt. Heute muß ich zwar wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, um für meine Familie zu sorgen, doch wir haben unseren Dienst für unseren Schöpfer ohne Unterbrechung fortgesetzt und schulen auch unsere Tochter darin, seine Gesetze zu respektieren und sich nach seinem Vorsatz auszurichten. Auch erhalte ich von Zeit zu Zeit die Gelegenheit, der Versammlung auf verschiedene Weise zu dienen.
Im Jahre 1984 hatte ich das Vorrecht, für zwei Wochen wieder im Bethel in New York zu sein. Ich war einer der vielen freiwilligen Helfer — oft Familienväter mit handwerklichen Kenntnissen —, die vorübergehend bei dem großen Bauprojekt mitgeholfen haben, das dort im Gange ist. Meine Frau unterstützte mich freudig in dieser Hinsicht und nahm meine Abwesenheit in Kauf. Es war für mich eine Ehre, im Bethel bei der Erweiterung der Produktionsstätten, der Bürogebäude und der Wohngebäude mitzuhelfen. Die zwei Wochen waren für mich sehr befriedigend. Der große Komplex mit etwa 2 500 Mitarbeitern dient dazu, die weltweite Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu unterstützen und die große Ausdehnung zu fördern, die jetzt im Gange ist.
Nein, nie habe ich es bereut, meine Baseballkarriere aufgegeben zu haben, nicht eine Minute! Baseball hat für mich zwar noch einen gewissen Reiz, aber ich achte darauf, daß dieser Sport den rechten Platz einnimmt. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und ich weiß, daß es etwas weit Wichtigeres zu tun gibt, als sich dem Sport zu widmen, nämlich, dem Schöpfer jetzt mit der Hoffnung zu dienen, den Dienst für ihn in dem neuen System, in dem Gerechtigkeit herrschen wird, für immer fortzusetzen. (Von Richard DeChaine erzählt.)
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Nicht alle Spieler waren mit meinen Entscheidungen einverstanden
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Beim Bibelstudium mit meiner Frau Joanne und meiner Tochter Elise