Steigende Preise — Menschliches Leid
Von unserem Korrespondenten in Spanien
„Wir essen überhaupt keine Tomaten mehr, weil sie so teuer sind. Und ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal Obst gekauft habe“, seufzt eine Hausfrau aus Indien.
„Wir können weder Schuhe noch Kleidung kaufen“, klagt ein mexikanischer Textilarbeiter, der eine fünfköpfige Familie zu ernähren hat. „Vor vier Jahren hatten wir weniger Geld, aber alles war billiger. Jetzt bekommt man für sein Geld nichts mehr.“ In seinem Land ist die Kaufkraft des Peso von 1982 bis 1986 um 35,4 Prozent gesunken.
Muhammed el-Ghani ist Nachtwächter in Kairo (Ägypten), wo sich die Preise für eine Reihe Bedarfsgüter in nur 12 Monaten verdoppelt haben. „Wir leben von einem Tag zum anderen“, erzählt er. „Es gibt Tage, an denen wir uns nichts zu essen leisten können.“
In Brasilien hatte ein Mann, der durch ein Eisenbahnunglück zu Schaden gekommen war, das Pech, daß das Gericht erst nach 20 Jahren in seiner Klage auf Entschädigung entschied. Schließlich wurde ihm eine monatliche Entschädigung gewährt, die der Hälfte des landesweiten Mindestlohnes zur Zeit des Unglücks entsprach. Doch zufolge der Inflation reichte der Betrag wahrscheinlich nicht einmal für das Busgeld aus, das er bezahlen mußte, um die Entschädigung abzuholen.
Bala aus Nigeria, der bereits Vater von drei Kindern ist, wurde ohnmächtig, als man ihm mitteilte, daß seine Frau Drillinge zur Welt gebracht hatte. Obwohl er zwei Arbeitsstellen hat, reicht sein Verdienst kaum aus, um die grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen, und die Preise für Nahrungsmittel steigen weiter an. Er weiß, daß er unmöglich auch nur für die wichtigsten Bedürfnisse seiner Kinder sorgen kann. So war er bereit, die Babys zur Adoption freizugeben.
Wenn auch die Einzelheiten unterschiedlich sind, spielt sich doch weltweit das gleiche ab. Die Lebenshaltungskosten steigen unaufhaltsam. Für viele sind Brot und Milch ein Luxus geworden und drei Mahlzeiten am Tag eine Seltenheit. Aus Nigeria wird berichtet: „Brot, das bisherige Hauptnahrungsmittel der meisten Nigerianer, wird nur noch von den Wohlhabenden gegessen. Reis reicht man nur noch bei festlichen Anlässen.“
Die einen machen die Situation erträglicher, indem sie mehr Stunden arbeiten, während es für die anderen schwer oder sogar unmöglich ist, überhaupt Arbeit zu finden. Sie sind gezwungen, sich Tag für Tag auf die endlose und oft vergebliche Suche nach Nahrungsmitteln zu begeben. Bei ihnen geht es nicht lediglich darum, für die Lebenshaltungskosten aufzukommen, sondern sie müssen um das Überleben kämpfen.
Schuld ist in den meisten Fällen die Inflation, das heißt die steigenden Preise. Das Einkommen mag sich zwar ebenfalls erhöhen, aber kaum im gleichen Verhältnis wie die Preise. Besonders schwer trifft es Personen mit gleichbleibenden Bezügen wie Rentner oder Arbeitslose. In vielen Entwicklungsländern der Welt ist der Lebensstandard in den letzten Jahren merklich gesunken. Weltweit gesehen, kann man sagen, daß die Reichen wahrscheinlich immer reicher, die Armen jedoch mit Sicherheit immer ärmer werden.
Unruhen zufolge wirtschaftlicher Not
Es überrascht daher nicht, daß viele ihre Stimme zum Protest erheben. Verarmte Lehrer aus den mexikanischen Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca besetzten beispielsweise den Hauptplatz von Mexiko-Stadt mit Zelten in der Hoffnung, dadurch wirtschaftliche Gerechtigkeit durchzusetzen. „Die Menschen werden ausgebeutet“, versicherte einer von ihnen. In anderen Ländern sind nach starken Preiserhöhungen Krawalle ausgebrochen.
Auch die Kriminalität, die mitunter als stille, aber gefährliche Revolution der Armen gegen die Reichen bezeichnet wird, breitet sich aus. Bei einem Polizeilehrgang wurde die internationale Verbrechenswoge der aussichtslosen Wirtschaftslage vieler Bürger zugeschrieben. Wirtschaftliche Ausweglosigkeit führt manchmal zu grauenhaften Reaktionen. 1987 wurden zum Beispiel in zwei indischen Orten über 50 Angehörige der oberen Kasten von Hunderten verhungernden Kleinbauern ermordet, die sich von den feudalen Landbesitzern ausgebeutet fühlten.
Wer ist schuld?
Im 20. Jahrhundert ist mehr Wohlstand erreicht worden als je zuvor. Doch während sich dieses Jahrhundert dem Ende nähert, geraten fortgesetzt Millionen in bittere Armut. Versprechungen von einer besseren Zukunft, einem wirtschaftlichen Aufschwung oder einem annehmbaren Einkommen für alle sind nur allzuoft politische Phantasien.
Wer oder was ist schuld? Viele geben der Regierung die Schuld. Die Regierungen hingegen schieben die Schuld oft der Wirtschaftspolitik anderer Länder zu. Auch die Weltwirtschaftsordnung wird heftig kritisiert. Die Probleme sind komplex, und eine Lösung ist schwer zu finden. Im folgenden Artikel wird darauf eingegangen, worin die fundamentalen Ursachen für die Teuerungskrise bestehen und warum sie so schwer zu lösen ist.