„Das Land geteilt, die Welt geeint“ — Die Geschichte des Panamakanals
Von unserem Korrespondenten in Panama
„DAS Land geteilt, die Welt geeint“. Viele Jahrzehnte lang war diese Losung auf dem Siegel des Panamakanals zu lesen. Der Kanal hat die Welt in einer bestimmten Weise vereint, indem er zwei mächtige Ozeane miteinander verbindet; und er hat möglicherweise einen größeren Einfluß auf unser Leben, als wir denken. Vielleicht sind unser Auto, unsere Haushaltsgeräte oder sogar unsere Nahrungsmittel auf diesem Weg gereist.
Der 15. August 1989 war der 75. Jahrestag der ersten Passage auf jenem wichtigen Wasserweg. Doch die Träume, die Pläne und die Arbeit, durch die diese 80 Kilometer lange Fahrt auf dem Wasser ermöglicht wurde, reichen Jahrhunderte zurück.
Nachdem Kolumbus die sogenannte Neue Welt entdeckt hatte, begann die Zeit der Erforschungen durch die spanischen Konquistadoren. Vasco Núñez de Balboa überquerte die schmale Landenge von Panama im Jahr 1513. Angespornt durch Berichte der Einheimischen über einen „schmalen Ort“, der zu einem anderen Meer führe, hatte Balboa so lange gesucht, bis er den großen westlichen Ozean gefunden hatte.
Einige Jahre später umsegelte Fernão Magalhães die Südspitze Südamerikas durch die tückische Straße, die jetzt seinen Namen trägt, und erreichte denselben großen Ozean. Magalhães nannte ihn el pacifico — der Friedliche — im Gegensatz zum stürmischen Atlantischen Ozean. Die lange, gefährliche Fahrt gab Anlaß zu der Suche nach einem wirtschaftlicheren Weg zum Pazifischen Ozean.
König Karl I. von Spanien unterstützte 1534 ein bemerkenswertes Projekt: einen Kanal, der die beiden großen Ozeane verbinden sollte. Er ließ zwar Gutachten einholen, doch das Vorhaben überstieg bei weitem die technischen Möglichkeiten seiner Zeit. Mehr als drei Jahrhunderte sollten vergehen, ehe der Traum in Erfüllung ging.
Im 19. Jahrhundert schafften die neuen technischen Errungenschaften wie Dampfkraft und Eisenbahn neue, faszinierende Möglichkeiten. Dann kam der kalifornische Goldrausch. Die Goldsucher entdeckten eine Abkürzung nach Kalifornien: Sie segelten von der Ostküste der Vereinigten Staaten nach Panama, überquerten die Landenge zu Fuß oder auf dem Maultier und fuhren anschließend mit dem Schiff nach San Francisco. 1855 wurde eine Eisenbahnlinie durch die Landenge in Betrieb genommen. Aber die Idee eines Kanals war noch lebendig.
Das kühne französische Kanalprojekt
Nach dem erfolgreichen Bau des Sueskanals unternahm Ferdinand Vicomte de Lesseps Schritte, um den Panamakanal Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Ausschuß unter seiner Leitung ließ die ersten Sondierungen vornehmen und erhielt von Kolumbien, zu dem die Landenge von Panama damals gehörte, eine Konzession auf 99 Jahre. 1881 wurde mit dem Bau begonnen. Man war sehr optimistisch, denn der Kanal würde nur halb so lang sein wie der Sueskanal, und man mußte weder mit Wasserknappheit noch mit unbarmherzigem Wüstensand fertig werden.
Doch andere Feinde erwiesen sich als unüberwindbar: der Dschungel, hohe felsige Erhebungen, nachgebender Erdboden und — als schlimmste Feinde — Gelbfieber und Malaria. Die daraus resultierenden arbeitstechnischen Probleme, der langsame Fortschritt aufgrund unzulänglicher Ausrüstung und Mißwirtschaft zwangen die Bauherren, das Projekt, das vielen Menschen das Leben und die Franzosen 260 Millionen Dollar gekostet hatte, nach 20jähriger Arbeit aufzugeben.
Die Herausforderung angenommen
Um die Jahrhundertwende begannen die Vereinigten Staaten, ihre Muskeln als kommende Weltmacht spielen zu lassen, und richteten bald ihre Aufmerksamkeit auf Panama. Während des Spanisch-Amerikanischen Krieges benötigte das Schlachtschiff Oregon 68 Tage, um von Kalifornien durch die Magellanstraße nach Florida zu segeln, was das Fehlen einer besseren Ost-West-Verbindung deutlich vor Augen führte. Die Vereinigten Staaten erkannten den praktischen Wert eines Kanals in Panama und erwarben die Rechte für den Bau.
Doch die Verhandlungen mit Kolumbien scheiterten kurz darauf. 1903 rief Panama dann die Unabhängigkeit von Kolumbien aus und garantierte den Vereinigten Staaten umgehend das Recht, den Kanal zu bauen, und die Hoheitsrechte über den 16 Kilometer breiten Landstreifen, durch den der Kanal führen sollte.
Die alten Probleme, die schon die Franzosen geplagt hatten — sowie einige unvorhergesehene neue —, blieben allerdings eine Herausforderung, als die Arbeit erneut begann. Jedes wurde zur rechten Zeit gelöst:
Krankheiten: Gelbfieber und Malaria grassierten in dem tropischen Land. Oberst William Crawford Gorgas setzte energisch sanitäre Maßnahmen durch. In Verbindung mit einem unerbittlichen Krieg gegen die krankheitsübertragenden Moskitos konnten diese Krankheiten praktisch ausgemerzt werden.
Arbeit: Panama war außerstande, die vielen benötigten Arbeiter zu stellen. Was war die Lösung? Tausende von Arbeitern von den Westindischen Inseln wurden rekrutiert.
Aushub: Der widerspenstige Fels und das nachgebende Erdreich blieben ein Problem. Doch die Entscheidung zugunsten eines Kanals mit Schleusen statt eines niveaugleichen Durchstichs reduzierte die Menge des zu bewegenden Erdreichs gewaltig. Aber wohin mit dem Aushub? Die Dämme, mit denen Seen als Teil des Inlandwasserweges geschaffen wurden, verbrauchten eine ganze Menge. Der Rest wurde für Wellenbrecher und Wege sowie zur Trockenlegung von Sümpfen und Marschland verwendet, wodurch man Platz für Industrie und Wohngebiete gewann.
John F. Stevens, ein erfahrener Mann der Eisenbahn, hatte in der ersten Zeit die Leitung. Geräte zum Erdtransport und versetzbare Schienenabschnitte, die im Verlauf der Arbeiten umgesetzt werden konnten, erwiesen sich als sehr wertvoll. Stevens kündigte zwar später, doch nach den von ihm eingeführten Methoden wurde bis zur Fertigstellung des Projekts gearbeitet.
Präsident Theodore Roosevelt betraute dann Oberstleutnant George Washington Goethals, Ingenieur der US-Army, mit der Leitung. Goethals’ Erfahrungen als Ingenieur waren von unschätzbarem Vorteil für die erfolgreiche Durchführung des Projekts. Am 15. August 1914 wurde der Kanal eröffnet. Das Schleusensystem erwies sich nicht nur als ein Erfolg, sondern auch als sehr langlebig. Doch wollen wir einmal durch den Kanal fahren und mit eigenen Augen sehen, wie das System funktioniert.
Eine Fahrt durch den Kanal
Im Gegensatz zu dem, was man annehmen könnte, geht unsere Reise vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean nicht von Ost nach West, sondern von Nordwest nach Südost. (Siehe Karte.) Zuerst fahren wir zwischen den fünf Kilometer langen Wellenbrechern hindurch, die uns Schutz vor den jahreszeitlich bedingten Stürmen des Karibischen Meeres bieten. Unser Schiff ankert nun in geschützten Gewässern, bis es an der Reihe ist. Dann geht es los, und wir fahren in die Gatunschleusen ein. Dort wird das Schiff in drei Stufen um 26 Meter auf das Niveau des Gatunsees angehoben. Die Schleusenkammern sind gewaltig: Jede ist 34 Meter breit und 305 Meter lang — groß genug, um die meisten Handels- und Kriegsschiffe aufnehmen zu können.
Und so funktionieren die Schleusen: Wasser aus dem höher gelegenen Teil wird in die Kammern gelassen, wodurch das Schiff angehoben wird. Elektrische Lokomotiven oder „Mulis“ schleppen die Schiffe in den einzelnen Kammern in die richtige Position. Zwischen den Schleusen fährt das Schiff mit eigener Kraft durch den Kanal.
Die letzte Gatunschleuse entläßt uns in den Gatunsee, der zur Zeit seiner Fertigstellung das größte von Menschenhand geschaffene Gewässer der Welt war. Es ist ein Meisterstück der Wassernutzung. Der reichliche tropische Regen speist nicht nur den Wasserweg, sondern wird auch genutzt, um Strom für den Betrieb des Kanals zu erzeugen. Bei der Fahrt durch den Gatunsee sehen wir eine Menge Inseln. Bevor der Dschungel überflutet wurde, waren das die Bergkuppen.
Der Kanal verengt sich, und das Land steigt steil an, während wir uns der kontinentalen Wasserscheide nähern. Hier am Gaillard Cut wurden die bis dahin größten Erdbewegungsarbeiten aller Zeiten durchgeführt. Über 150 Millionen Kubikmeter Erdreich und Gestein mußten weggeschafft werden. Ständige Erdrutsche behinderten das Vorwärtskommen und begruben oft Gleise und Ausrüstung unter sich. Heute sind Menschen und Maschinen immerzu im Einsatz, um den 150 Meter breiten Wasserweg instand zu halten.
Wir kommen noch durch zwei weitere Schleusensysteme — Pedro Miguel und Miraflores —, bis wir schließlich wieder auf den Meeresspiegel hinabgestiegen sind und das Ende des Kanals erreicht haben. Unsere Reise endet hier, während für eine Anzahl Schiffe, die auf die Durchfahrt in entgegengesetzter Richtung warten, die Fahrt gerade erst beginnt.
Moderne Transportmittel sind zwar in den letzten Jahren stark im Kommen, doch der Panamakanal dient immer noch als ein wichtiges Bindeglied im Welthandel. Jährlich befahren ihn über 12 000 Wasserfahrzeuge und befördern dabei etwa 130 Millionen Tonnen Fracht. Zweifellos wird man auch in den kommenden Jahren vom Panamakanal sagen können: „Das Land geteilt, die Welt geeint“.
[Karte auf Seite 21]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Nordamerika
Mittelamerika
Panamakanal
Südamerika
[Bild auf Seite 21]
Am 15. August 1914 passierte die Ancon als erstes Schiff den Kanal
[Bildnachweis]
Panama Canal Commission, Office of Public Affairs