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Erwachet! 1994
g94 22. 10. S. 8-15

Wir unterstützten den Krieg Hitlers nicht

VON FRANZ WOHLFAHRT ERZÄHLT

MEIN Vater, Gregor Wohlfahrt, diente während des Ersten Weltkriegs (1914—1918) im österreichischen Heer und kämpfte gegen Italien. Hunderttausende wurden damals niedergemetzelt — Österreicher und Italiener. Dieses schreckliche Erlebnis bewirkte, daß sich die Einstellung meines Vaters zu Religion und Krieg vollständig änderte.

Er sah österreichische Priester die Truppen segnen und erfuhr, daß italienische Priester auf der anderen Seite dasselbe taten. Deshalb fragte er sich: „Warum werden katholische Soldaten dazu angetrieben, andere Katholiken zu töten? Sollten Christen gegeneinander Krieg führen?“ Die Priester hatten keine zufriedenstellenden Antworten.

Antworten auf Vaters Fragen

Nach dem Krieg heiratete mein Vater und siedelte sich in den Bergen Österreichs an, nahe der italienischen und jugoslawischen Grenze. Dort wurde ich 1920 als erstes von sechs Kindern geboren. Als ich sechs Jahre alt war, zogen wir einige Kilometer nach Osten, nach St. Martin, in die Nähe des Erholungsortes Pörtschach.

Dort sprachen Prediger der Zeugen Jehovas (damals Bibelforscher genannt) bei meinen Eltern vor. Im Jahr 1929 gaben sie ihnen die Broschüre Wohlfahrt sicher, die viele Fragen meines Vaters beantwortete. Anhand der Bibel wurde darin gezeigt, daß die Welt von einem unsichtbaren Machthaber, Teufel und Satan genannt, beherrscht wird (Johannes 12:31; 2. Korinther 4:4; Offenbarung 12:9). Sein Einfluß auf die Religion, die Politik und den Handel der Welt war verantwortlich für die Greueltaten, die Vater im Ersten Weltkrieg gesehen hatte. Endlich hatte er die Antworten gefunden, nach denen er so lange auf der Suche gewesen war.

Eifrig im Dienst

Mein Vater bestellte bei der Watch Tower Bible and Tract Society Literatur und begann, sie unter seinen Verwandten und später von Haus zu Haus zu verbreiten. Hans Stossier, ein Mann von nur 20 Jahren aus der Nachbarschaft, schloß sich ihm bald im Haus-zu-Haus-Dienst an. Binnen kurzem wurden fünf unserer Verwandten ebenfalls Zeugen — Vaters Bruder Franz, dessen Frau Anna, später ihr Sohn Anton sowie Vaters Schwester Maria und ihr Mann Hermann.

Das erregte in unserem kleinen Ort St. Martin einiges Aufsehen. In der Schule fragte eine Schülerin unseren Religionslehrer: „Pfarrer Loigge, wer ist der neue Gott Jehova, den Wohlfahrt anbetet?“

„Nein, nein, Kinder“, entgegnete der Priester. „Das ist kein neuer Gott. Jehova ist der Vater von Jesus Christus. Wenn man die Botschaft aus Liebe zu diesem Gott verbreitet, dann ist das sehr gut.“

Ich kann mich daran erinnern, daß mein Vater oftmals gegen 1 Uhr nachts das Haus verließ, mit biblischer Literatur bepackt und einem Butterbrot in der Tasche. Nach sechs oder sieben Stunden erreichte er dann den entlegensten Ort seines Predigtdienstgebietes nahe der italienischen Grenze. Auf kürzeren Reisen durfte ich ihn begleiten.

Trotz des Predigtdienstes vernachlässigte mein Vater nicht die geistigen Bedürfnisse seiner Familie. Als ich ungefähr 10 Jahre alt war, begann er mit uns sechs Kindern ein regelmäßiges wöchentliches Bibelstudium anhand des Buches Die Harfe Gottes. Zu anderen Zeiten gingen interessierte Nachbarn und Verwandte in unserem Haus ein und aus. Bald gab es in unserem kleinen Ort eine Versammlung von 26 Königreichsverkündigern.

Hitler kommt zur Macht

Hitler kam 1933 in Deutschland zur Macht, und bald darauf setzte dort eine Verfolgung der Zeugen Jehovas ein, die immer heftiger wurde. 1937 besuchte mein Vater einen Kongreß in Prag (Tschechoslowakei). Die Kongreßteilnehmer wurden auf bevorstehende Prüfungen aufmerksam gemacht; daher legte mein Vater nach seiner Rückkehr uns allen dringend ans Herz, uns auf Verfolgung vorzubereiten.

Mittlerweile hatte ich im Alter von 16 Jahren eine Malerlehre angefangen. Ich wohnte bei einem Malermeister und besuchte die Berufsschule. Ein schon etwas älterer Priester, der aus Deutschland geflüchtet war, um der Herrschaft der Nationalsozialisten zu entkommen, gab an der Schule Religionsunterricht. Wenn die Schüler ihn mit „Heil Hitler!“ grüßten, zeigte er sein Mißfallen, indem er fragte: „Wo bleibt da bloß der Glaube?“

Ich nutzte die Gelegenheit und fragte ihn, warum Katholiken Titel wie „Eure Eminenz“ und „Heiliger Vater“ benutzen, da doch Jesus sagte, alle seine Nachfolger seien Brüder (Matthäus 23:8-10). Der Priester gab zu, daß diese Gepflogenheit verkehrt sei; er selbst habe Schwierigkeiten gehabt, da er sich geweigert habe, sich vor dem Bischof niederzubeugen und dessen Hand zu küssen. Dann fragte ich ihn: „Wie kann es angehen, daß die Kirche ihren Segen gibt, wenn Katholiken andere Katholiken töten?“

„Das ist eine wahre Schande!“ ereiferte sich der Priester. „Das darf nie wieder passieren. Wir sind Christen, und die Kirche sollte sich nicht in den Krieg einmischen.“

Am 12. März 1938 marschierten Hitlers Truppen in Österreich ein, ohne auf Widerstand zu stoßen, und bald darauf erfolgte der Anschluß Österreichs an Deutschland. Eilends verbündeten sich die Kirchen mit Hitler. Schon nach knapp einer Woche unterzeichneten alle sechs österreichischen Bischöfe, auch Kardinal Theodor Innitzer, eine überschwengliche „Feierliche Erklärung“. Darin erklärten sie im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung: „Es [ist] für uns Bischöfe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen.“ (Siehe Seite 9.) Bei einem großen Empfang in Wien war Kardinal Innitzer einer der ersten, die Hitler den Deutschen Gruß entboten. Der Kardinal wies alle österreichischen Kirchen an, die Hakenkreuzfahne zu hissen, die Kirchenglocken zu läuten und für den nationalsozialistischen Diktator zu beten.

Scheinbar über Nacht war in Österreich ein politischer Gesinnungswechsel eingetreten. Auf einmal sah man überall SA-Männer in ihren braunen Uniformen mit Hakenkreuzarmbinden. Der Priester, der zuvor gesagt hatte, die Kirche solle sich nicht in den Krieg einmischen, war einer der wenigen Priester, die sich weigerten, mit „Heil Hitler!“ zu grüßen. Eine Woche später wurde er durch einen anderen Priester ersetzt. Als dieser ins Klassenzimmer kam, schlug er als erstes die Hacken zusammen, hob den Arm zum Deutschen Gruß und sagte: „Heil Hitler!“

Der Druck der Gleichschaltung

Jeder war dem Druck der Nationalsozialisten ausgesetzt. Wenn ich die Leute mit „Guten Tag!“ anstatt mit „Heil Hitler!“ grüßte, wurden sie ärgerlich. Ungefähr 12mal wurde ich der Gestapo gemeldet. Einmal drohte eine Horde SA-Männer dem Malermeister, bei dem ich wohnte, mich ins Konzentrationslager zu bringen, wenn ich nicht den Hitlergruß entbieten und der Hitler-Jugend beitreten würde. Der Maler, der mit den Nationalsozialisten sympathisierte, bat sie, mit mir Geduld zu haben, da er sicher sei, daß ich mich mit der Zeit ändern werde. Er gab mir zu verstehen, daß er mich nicht verlieren wolle, weil ich ein guter Arbeiter sei.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden große Aufmärsche veranstaltet, die bis spät in die Nacht dauerten und bei denen die Leute fanatisch NS-Parolen schrien. Jeden Tag dröhnten die Reden von Hitler, Goebbels und anderen aus dem Radio. Die katholische Kirche wurde Hitler immer gefügiger, während die Priester regelmäßig für Hitler beteten und ihm ihren Segen gaben.

Mein Vater erinnerte mich daran, wie wichtig es ist, eindeutig Stellung zu beziehen, mich Jehova hinzugeben und mich taufen zu lassen. Er sprach mit mir auch über Maria Stossier, die jüngere Schwester unseres Nachbarn Hans, die sich für die biblische Wahrheit entschieden hatte. Maria und ich wollten heiraten, und so spornte mich mein Vater dazu an, sie im Glauben zu ermuntern. Im August 1939 wurden wir beide von ihrem Bruder Hans getauft.

Vaters Beispiel der Lauterkeit

Am nächsten Tag wurde mein Vater zur Wehrmacht einberufen. Obwohl er wegen der Härten im Ersten Weltkrieg eine schwache Gesundheit hatte und deswegen ohnehin vom Militärdienst befreit worden wäre, sagte er dem Ausschuß, daß er als Christ nie wieder am Krieg teilnehmen würde, so wie er das als Katholik getan habe. Wegen dieser Äußerung wurde er für weitere Ermittlungen in Haft gehalten.

Als deutsche Truppen eine Woche später in Polen einmarschierten, was den Zweiten Weltkrieg auslöste, wurde er nach Wien gebracht. Während er dort festgehalten wurde, schrieb der Altbürgermeister unseres Ortes einen Brief, in dem er behauptete, mein Vater sei dafür verantwortlich, daß andere Zeugen sich geweigert hätten, Hitler zu unterstützen, und deshalb solle man ihn hinrichten. Als Folge davon wurde mein Vater nach Berlin geschickt und kurz danach zum Tod durch Enthaupten verurteilt. Im Gefängnis Moabit lag er Tag und Nacht in Ketten.

In der Zwischenzeit schrieb ich — stellvertretend für unsere Familie — meinem Vater einen Brief und teilte ihm mit, daß wir entschlossen waren, seinem Beispiel der Treue zu folgen. Im allgemeinen war mein Vater kein gefühlsbetonter Mensch, aber sein letzter Brief an uns zeigte Spuren von vielen Tränen; daher wußten wir, wie er empfand. Er war überglücklich, daß wir seinen Standpunkt verstanden. Durch seine ermunternden Worte, die er an uns richtete — er sprach jeden persönlich an —, spornte er uns an, treu zu bleiben. Er hatte die feste Hoffnung, auferweckt zu werden.

Außer meinem Vater wurden noch ungefähr zwei Dutzend Zeugen im Gefängnis Moabit gefangengehalten. Hohe Parteiführer Hitlers versuchten, sie zu überreden, ihren Glauben aufzugeben, aber ohne Erfolg. Im Dezember 1939 wurden etwa 25 Zeugen hingerichtet. Als meine Mutter von Vaters Tod erfuhr, gab sie zu erkennen, wie dankbar sie Jehova dafür war, daß er ihm die Kraft gegeben hatte, bis zum Tod treu zu bleiben.

Meine Prüfungen beginnen

Einige Wochen später wurde ich zum Reichsarbeitsdienst einberufen, merkte allerdings bald, daß die Haupttätigkeit aus Militärübungen bestand. Ich erklärte, daß ich zwar keinen Militärdienst verrichten würde, zu anderen Arbeiten aber bereit sei. Als ich mich jedoch weigerte, nationalsozialistische Kampflieder zu singen, wurden die Vorgesetzten wütend.

Am nächsten Morgen erschien ich in Zivilkleidung und nicht in der Uniform, die man mir wie auch den anderen gegeben hatte. Der diensthabende Vorgesetzte meinte, daß ihm nichts anderes übrigbleibe, als mich in den sogenannten Bunker zu schicken. Dort bekam ich nur Wasser und Brot. Später teilte man mir mit, daß eine Fahnengrußzeremonie stattfinden werde, und man drohte mir, mich zu erschießen, falls ich die Teilnahme verweigern würde.

Auf dem Exerziergelände befanden sich 300 Arbeitsmänner und einige Vorgesetzte. Mir wurde befohlen, an den Vorgesetzten und der Hakenkreuzfahne vorbeizumarschieren und den Hitlergruß zu leisten. Ich dachte an den Bericht über die drei Hebräer, was mir geistige Kraft gab, und sagte beim Vorbeigehen einfach: „Guten Tag!“ (Daniel 3:1-30). Dann sollte ich noch einmal das gleiche tun. Diesmal sagte ich gar nichts und lächelte nur.

Als mich vier Vorgesetzte zum Bunker zurückbrachten, erzählten sie mir, daß sie gezittert hätten, da sie erwartet hätten, man würde mich erschießen. „Wie kommt es“, fragten sie, „daß du gelächelt hast, während wir so nervös waren?“ Sie meinten, sie hätten auch gern soviel Mut wie ich.

Einige Tage später traf Dr. Almendinger, ein hochrangiger Vertreter des Reichsarbeitsdienstes, im Lager ein. Ich wurde ihm vorgeführt. Er erklärte mir, die Gesetze seien viel härter geworden. „Du bist dir gar nicht dessen bewußt, was dir noch alles bevorsteht“, sagte er.

„O doch, das bin ich“, antwortete ich. „Vor nur ein paar Wochen wurde mein Vater aus dem gleichen Grund enthauptet.“ Er war ganz verblüfft und sagte nichts mehr.

Später kam ein anderer hochrangiger Vertreter aus Berlin, und man versuchte aufs neue, mich zu einer Meinungsänderung zu bewegen. Als er erfuhr, weshalb ich Gottes Gesetze nicht übertreten wollte, nahm er meine Hand und sagte, während ihm Tränen über das Gesicht liefen: „Ich will dir das Leben retten!“ Alle anwesenden Vorgesetzten waren sehr bewegt. Dann wurde ich in den Bunker zurückgeführt, wo ich insgesamt 33 Tage zubrachte.

Gerichtsverfahren und Haft

Im April 1940 wurde ich in ein Gefängnis in Fürstenfeld verlegt. Einige Tage später erhielt ich von Maria, meiner Verlobten, und meinem Bruder Gregor Besuch. Gregor war nur eineinhalb Jahre jünger als ich und hatte in der Schule fest für die biblische Wahrheit Stellung bezogen. Ich erinnere mich, wie er unsere jüngeren Brüder dazu anspornte, sich auf Verfolgung einzustellen, da es nur einen einzigen Weg gebe, nämlich Jehova zu dienen. Während dieser kostbaren Stunde, in der wir einander ermunterten, sah ich Gregor zum letztenmal. Später wurde ich in Graz zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Im Herbst des Jahres 1940 steckte man mich in einen Zug, der mich in ein Arbeitslager in der Tschechoslowakei bringen sollte, doch wurde ich in Wien zurückgehalten und landete dort in einem Gefängnis. Die Zustände waren furchtbar. Ich litt nicht nur Hunger, sondern wurde nachts auch von Wanzen gebissen, was blutende und brennende Wunden hinterließ. Aus mir zu diesem Zeitpunkt unbekannten Gründen brachte man mich wieder in das Gefängnis nach Graz zurück.

Dort war man an meinem Fall interessiert, weil die Gestapo Jehovas Zeugen als fanatische Märtyrer hinstellte, die sich das Todesurteil wünschten, damit sie mit Leben im Himmel belohnt würden. So hatte ich eine gute Gelegenheit, zwei Tage lang vor einem Professor und acht Studenten der Grazer Universität zu sprechen, denen ich erklären konnte, daß nur 144 000 Personen in den Himmel kommen, um mit Christus zu herrschen (Offenbarung 14:1-3). Ich sagte, meine Hoffnung bestehe darin, ewiges Leben auf einer paradiesischen Erde zu erlangen (Psalm 37:29; Offenbarung 21:3, 4).

Nach der zweitägigen Befragung meinte der Professor: „Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Sie mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Sie wollen gar nicht sterben und in den Himmel kommen.“ Er äußerte sein Bedauern über die Verfolgung der Zeugen Jehovas und wünschte mir alles Gute.

Zu Beginn des Jahres 1941 brachte man mich mit dem Zug nach Rollwald, einem Zwangsarbeitslager in Deutschland.

Das harte Leben im Lager

Rollwald lag zwischen Frankfurt und Darmstadt. Ungefähr 5 000 Gefangene waren dort interniert. Jeder Tag begann um 5 Uhr morgens mit dem Zählappell, der etwa zwei Stunden dauerte, da sich die Vorgesetzten Zeit dabei ließen, die Liste der Häftlinge auf den neuesten Stand zu bringen. Man verlangte von uns, bewegungslos dazustehen, und weil viele der Häftlinge nicht ganz still standen, wurden sie heftig geschlagen.

Zum Frühstück gab es Brot, das aus Mehl und Sägemehl hergestellt worden war, und Kartoffeln, die oft schon verfault waren. Dann machten wir uns in den Sümpfen an die Arbeit und hoben Gräben aus, um das Land durch Entwässerung urbar zu machen. Da wir den ganzen Tag in den Sümpfen ohne angemessenes Schuhwerk arbeiten mußten, hatten wir abends immer angeschwollene und aufgedunsene Füße. Einmal sah es so aus, als hätte sich bei mir Gangrän entwickelt, und ich befürchtete, beide Füße müßten amputiert werden.

Um die Mittagszeit gab man uns in unserem Arbeitsrevier jeweils einen Mischmasch zu essen, der eine Suppe darstellen sollte. Um der „Suppe“ Geschmack zu geben, wurden Steckrüben oder Kohl beigefügt, und manchmal kam auch zerkleinertes Fleisch von verendeten Tieren mit hinein. Mund und Rachen brannten, und viele von uns bekamen große Furunkel. Abends gab es dann nochmals „Suppe“. Viele Häftlinge verloren die Zähne, aber mir war gesagt worden, es sei wichtig, die Zähne immer zu gebrauchen. Also kaute ich ständig auf einem Stück Kiefernholz oder auf Haselnußzweigen herum, und so verlor ich keinen einzigen Zahn.

Geistig stark geblieben

Die Lageraufseher isolierten mich von den anderen Zeugen, um mich von meinem Glauben abzubringen. Da ich keine biblische Literatur besaß, versuchte ich, mich an Schriftstellen zu erinnern, die ich mir eingeprägt hatte, wie zum Beispiel Sprüche 3:5, 6, wo wir aufgefordert werden, ‘mit unserem ganzen Herzen auf Jehova zu vertrauen’, und 1. Korinther 10:13, wo wir die Zusicherung erhalten, daß Jehova ‘nicht zulassen wird, daß wir über unser Vermögen versucht werden’. Dadurch, daß ich mir solche Schriftstellen ins Gedächtnis zurückrief und mich im Gebet auf Jehova stützte, erhielt ich Kraft.

Gelegentlich sah ich Zeugen, die sich auf dem Transport in ein anderes Lager befanden. Wenn wir keine Gelegenheit zum Reden hatten, ermunterten wir uns gegenseitig mit einem Kopfnicken oder einer erhobenen Faust zur Standhaftigkeit. Hin und wieder bekam ich einen Brief von Maria oder von meiner Mutter. In einem Brief wurde mir der Tod meines lieben Bruders Gregor mitgeteilt, und gegen Ende des Krieges erfuhr ich durch einen anderen, daß Hans Stossier, Marias Bruder, hingerichtet worden war.

Als später ein Häftling in unser Lager verlegt wurde, der Gregor im Gefängnis Moabit in Berlin kennengelernt hatte, erzählte er mir im einzelnen, was geschehen war. Gregor war zum Tod durch die Guillotine verurteilt worden; man wollte jedoch seine Lauterkeit brechen und verlängerte die übliche Wartezeit vor der Hinrichtung auf vier Monate. Während dieser Zeit übte man auf verschiedene Weise Druck auf ihn aus, um ihn zu einem Kompromiß zu bewegen — Hände und Füße wurden in schwere Ketten gelegt, und er bekam kaum etwas zu essen. Doch er geriet nie ins Wanken. Er blieb treu bis zu seinem Tod am 14. März 1942. Obwohl mich die Nachricht traurig stimmte, fühlte ich mich in meinem Entschluß bestärkt, Jehova treu zu bleiben, komme, was wolle.

Schließlich erfuhr ich auch, daß meine beiden Brüder Kristian und Willibald sowie meine beiden Schwestern Ida und Anni in ein Kloster nach Landau in Deutschland gebracht worden waren, das als Umerziehungsheim diente. Die Jungen erhielten Prügel, weil sie sich weigerten, „Heil Hitler!“ zu sagen.

Gelegenheiten zum Zeugnisgeben

Die meisten in meiner Baracke waren politische Gefangene und Kriminelle. Oftmals verbrachte ich die Abende damit, ihnen Zeugnis zu geben. Einer von ihnen war ein katholischer Geistlicher namens Johann List aus Kapfenberg. Er war eingesperrt worden, weil er seiner Gemeinde erzählt hatte, was von der BBC (britische Rundfunkgesellschaft) gesendet worden war.

Johann machte eine schwere Zeit durch, weil er die harte körperliche Arbeit nicht gewohnt war. Er war ein sehr liebenswürdiger Mensch, und ich half ihm immer, sein Arbeitspensum zu erreichen, damit er keine Strafe bekam. Er sagte, er schäme sich, daß er wegen politischer Gründe eingesperrt sei und nicht, weil er für christliche Grundsätze eingetreten sei. „Du leidest wirklich als Christ“, sagte er. Als er ein Jahr später entlassen wurde, versprach er, meine Mutter und meine Verlobte zu besuchen, was er auch wahr machte.

Meine Situation bessert sich

Gegen Ende des Jahres 1943 bekamen wir einen neuen Lagerkommandanten namens Karl Stumpf — ein großer, weißhaariger Mann, der daranging, die Zustände in unserem Lager zu verbessern. Seine Villa sollte frisch gestrichen werden, und als er erfuhr, daß ich von Beruf Maler war, übertrug er mir diese Arbeit. Das war das erstemal, daß man mich von der Arbeit im Sumpf wegholte.

Die Frau des Kommandanten konnte einfach nicht verstehen, warum ich eingesperrt worden war, obwohl ihr Mann ihr erklärt hatte, daß es wegen meines Glaubens als Zeuge Jehovas war. Sie empfand Mitleid mit mir, weil ich so abgemagert war, und gab mir zu essen. Außerdem richtete sie es so ein, daß mir weitere derartige Arbeiten aufgetragen wurden, so daß ich wieder zu Kräften kommen konnte.

Als die Lagerinsassen etwas später in jenem Jahr für den Einsatz an vorderster Front mobilisiert wurden, rettete mir mein gutes Verhältnis zu Kommandant Stumpf das Leben. Ich hatte ihm erklärt, daß ich lieber sterben würde, als mich am Krieg zu beteiligen und dadurch Blutschuld auf mich zu laden. Obwohl er wegen meiner neutralen Haltung selbst in eine unangenehme Lage geriet, konnte er verhindern, daß mein Name auf die Liste derer gesetzt wurde, die eingezogen werden sollten.

Die letzten Tage des Krieges

Im Januar und Februar 1945 machten uns amerikanische Tiefflieger durch Flugblätter Mut, die besagten, daß der Krieg bald zu Ende wäre. Kommandant Stumpf, der mir das Leben gerettet hatte, stattete mich mit Zivilkleidung aus und bot mir seine Villa als Versteck an. Als ich das Lager verließ, herrschte offensichtlich ein heilloses Durcheinander. Kinder in Uniform und mit tränenüberströmten Gesichtern flohen vor den Amerikanern. Aus Angst, SS-Männern zu begegnen, die sich gewundert hätten, warum ich kein Gewehr trug, entschloß ich mich, zum Lager zurückzukehren.

Bald darauf war das Lager vollständig von amerikanischen Truppen umzingelt. Am 24. März 1945 kapitulierte das Lager und hißte die weiße Fahne. Zu meiner Überraschung erfuhr ich, daß es in Zweiglagern noch andere Zeugen gab, die Kommandant Stumpf ebenfalls vor der Hinrichtung bewahrt hatte. Das war ein freudiges Zusammentreffen! Als man Kommandant Stumpf gefangennahm, traten viele von uns an die amerikanischen Offiziere heran und sagten mündlich und schriftlich zu seinen Gunsten aus. Als Folge davon wurde er drei Tage später auf freien Fuß gesetzt.

Zu meiner großen Verwunderung war ich als erster von ungefähr 5 000 Häftlingen wieder frei. Nach fünf Jahren Haft war mir, als würde ich träumen. Mit Freudentränen in den Augen dankte ich Jehova im Gebet, daß er mich am Leben erhalten hatte. Deutschland kapitulierte erst am 7. Mai 1945, ungefähr sechs Wochen später.

Nach meiner Entlassung nahm ich sofort mit anderen Zeugen aus der Gegend Kontakt auf. Eine Bibelstudiengruppe wurde organisiert, und in den darauffolgenden Wochen verbrachte ich viele Stunden damit, den Leuten in der Umgebung des Lagers Zeugnis zu geben. Gleichzeitig fand ich eine Anstellung als Maler.

Wieder zu Hause

Im Juli gelang es mir, ein Motorrad zu kaufen, und so trat ich die lange, gefährliche Heimreise an. Ich war einige Tage unterwegs, denn viele Autobahnbrücken waren gesprengt worden. Als ich schließlich zu Hause in St. Martin ankam und die Straße hinauffuhr, sah ich Maria, die gerade bei der Weizenernte war. Es dauerte eine Zeit, bis sie mich erkannte, doch dann kam sie gelaufen. Das war ein frohes Wiedersehen! Meine Mutter ließ ihre Sense fallen und eilte ebenfalls herbei. Heute, 49 Jahre später, ist sie 96 Jahre alt und blind. Geistig ist sie jedoch immer noch rege, und sie ist bis heute eine treue Zeugin für Jehova geblieben.

Maria und ich heirateten im Oktober 1945, und seitdem haben wir Jehova gemeinsam all die Jahre freudig gedient. Wir wurden mit drei Töchtern, einem Sohn und sechs Enkelkindern gesegnet, die alle Jehova voller Eifer dienen. Im Verlauf der Jahre hatte ich die Freude, einer ganzen Reihe Personen zu helfen, für die biblische Wahrheit Stellung zu beziehen.

Zum Ausharren entschlossen

Ich wurde schon oft gefragt, wie ich als junger Mensch dem Tod so furchtlos ins Auge sehen konnte. Eines ist gewiß: Jehova Gott gibt die Kraft zum Ausharren, wenn wir entschlossen sind, ihm treu zu bleiben. Man lernt sehr schnell, durch das Gebet völlig auf ihn zu vertrauen. Und zu wissen, daß andere — mein eigener Vater und mein Bruder eingeschlossen — bis zum Tod treu ausgeharrt haben, half mir ebenfalls, meine Treue zu bewahren.

Jehovas Volk hat sich nicht nur in Europa aus dem Krieg herausgehalten. Ich erinnere mich, daß während der Nürnberger Prozesse (1946) ein hoher Parteiführer Hitlers über die Verfolgung der Zeugen Jehovas in den Konzentrationslagern befragt wurde. Er zog aus seiner Tasche einen Zeitungsausschnitt, aus dem hervorging, daß Tausende von Zeugen Jehovas in den Vereinigten Staaten wegen ihrer neutralen Haltung während des Zweiten Weltkriegs einige Zeit in Gefängnissen zugebracht hatten.

Ja, wahre Christen folgen mutig dem Beispiel Jesu Christi, der seine Lauterkeit gegenüber Gott bis zum letzten Atemzug bewahrte. Heute noch denke ich oft an die 14 Brüder unserer kleinen Versammlung in St. Martin, die sich in den 30er und 40er Jahren aus Liebe zu Gott und zu ihren Mitmenschen weigerten, den Krieg Hitlers zu unterstützen, und aus diesem Grund hingerichtet wurden. Welch ein Wiedersehen wird es doch sein, wenn sie in Gottes neuer Welt auferweckt werden und sich des ewigen Lebens erfreuen können!

[Bild auf Seite 8]

Mein Vater

[Bilder auf Seite 8, 9]

Unten und links: Kardinal Innitzer stimmte für das Deutsche Reich

Rechts: Die „Feierliche Erklärung“, in der sechs Bischöfe es als ihre nationale Pflicht erklärten, sich zum Deutschen Reich zu bekennen

[Bildnachweis]

UPI/Bettmann

[Bild auf Seite 10]

Maria und ich als Verlobte (1939)

[Bild auf Seite 13]

Familienfoto: Von links nach rechts: Gregor (wurde enthauptet), Anni, Franz, Willibald, Ida, Gregor (Vater, wurde enthauptet), Barbara (Mutter) und Kristian

[Bild auf Seite 15]

Maria und ich heute

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