Sinnst du nach, oder träumst du nur vor dich hin?
ALS sich im Negeb nach der sengenden Hitze des Tages die Abendkühle einstellte, verließ ein junger Mann namens Isaak sein Zelt und ging ‘auf das Feld, um nachzusinnen’. Mit welchen Gedanken er sich beschäftigte, sagt die Bibel nicht. Wir dürfen aber davon überzeugt sein, daß er sich keinen törichten, erotischen Träumereien hingab. Isaaks bevorstehende Heirat brachte für ihn neue und gewichtige Aufgaben mit sich. Durch ein Kind, das aus dieser Verbindung hervorgehen würde, sollte die Linie aufrechterhalten werden, die zu dem verheißenen „Samen“ oder Messias führte. Kein Wunder also, daß Isaak Zeit benötigte, um seine Gedanken zu ordnen. Wie sehr muß aber sein Herz geschlagen haben, als sein Nachsinnen plötzlich durch den Anblick einer herannahenden Karawane unterbrochen wurde! Auf einem der Kamele saß Rebekka, seine Braut (1. Mose 24:62-67; 22:17, 18).
Durch diesen Bericht wird etwas hervorgehoben, was für jeden Christen eine Gewohnheit sein sollte: das NACHSINNEN. Zugegeben, das Wort „nachsinnen“ kommt in der Bibel nur wenige Male vor. Dennoch betont Gottes Wort häufig die Notwendigkeit, sich eingehend über etwas Gedanken zu machen. „Sinne über diese Dinge nach; gehe darin auf, damit dein Fortschritt allen Menschen kund werde“, lautet der Rat des Apostels Paulus (1. Timotheus 4:15).
Den Sinn beschäftigt halten
Es liegt auf der Hand, daß Nachsinnen nützlich ist, doch fällt es den meisten von uns schwer. Sie würden lieber vor sich hin träumen — die Gedanken einfach ziellos schweifen lassen wie ein Boot, das in der Strömung treibt. In Ruhepausen kann das sehr entspannend sein. Aber in christlichen Zusammenkünften, während der Studien- oder der Arbeitszeit vor sich hin zu träumen gleicht dem Leerlauf eines Automotors — es wird Kraftstoff vergeudet, ohne daß man sich von der Stelle bewegt.
Wie kannst du deinen Sinn beschäftigt halten? Vor christlichen Zusammenkünften ist es vorteilhaft, nur ein leichtes Essen einzunehmen, da ein schweres Mahl einschläfernd wirken kann. Notizen zu machen ist eine weitere Hilfe, sich zu konzentrieren. Aber seinen Sinn in Zucht zu nehmen ist wahrscheinlich der wichtigste Faktor. Wir können viel schneller denken, als ein Redner sprechen kann. Statt also die Worte zum einen Ohr hinein- und zum andern hinauszulassen, solltest du versuchen, vorauszudenken und dich zu fragen, was der Redner als nächstes sagen wird. Folge seinem Gedankengang. Notiere die schriftgemäßen Argumente, die er anführt. Sinne später über die Gedanken nach, damit sie in deinem geistigen Vorratshaus für künftigen Gebrauch bereit sind, denn Jesus sagte: „Ein guter Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens Gutes hervor, ... aus der Fülle des Herzens redet sein Mund“ (Lukas 6:45).
Vielleicht neigt dein Sinn dazu, beim Lesen „abzuschalten“. Versuche in diesem Fall, kürzere Zeit zu studieren, dafür aber häufiger. Natürlich ist Wertschätzung für das, was du lernst, unerläßlich. Wenn es dir daran mangelt und deine Gedanken deshalb wandern, so berücksichtige, was unser himmlischer Vater in Sprüche 4:20-22 sagt: „Mein Sohn, merke doch auf meine Worte. Zu meinen Reden neige dein Ohr. ... Bewahre sie im Innern deines Herzens. Denn sie sind Leben denen, die sie finden, und Gesundheit ihrem ganzen Fleische.“
Den Reden Jehovas volle Aufmerksamkeit zu schenken ist von lebenswichtiger Bedeutung. Seine Reden müssen tief in unser Herz eindringen, wenn sie uns dazu antreiben sollen, das Rechte zu tun. Hier kommt es auf das Nachsinnen an. Bibellesen ohne Nachsinnen ist wie ein Regenschauer, der schnell vorüber ist und dessen Wasser bald vertrocknet — im Moment ist er zwar erfrischend, doch ist er nicht von dauerhaftem Nutzen. Das Nachsinnen dagegen gleicht einem stetigen Regen, der in den Boden eindringt und das Wachstum fördert. Wie kann man aber lernen nachzusinnen?
Lerne nachzusinnen
Hast du schon einmal eine winzige wildwachsende Blume untersucht und ihre Symmetrie und Schönheit bewundert? Oder hast du zu den Sternen aufgeblickt und warst von ihrer Herrlichkeit begeistert? Nun, das ist eine einfache Form des Nachsinnens, die deine Ehrfurcht vor Jehova, unserem Schöpfer, fördern und dich mit Dankbarkeit und Wertschätzung erfüllen kann (Psalm 8:3, 4). Laß deinen Geist bei solchen nützlichen Gedanken verweilen, wenn du Gelegenheit dazu hast.
Man kann sich aber auch viel tiefgründigere Gedanken machen. Hast du schon einmal eine Kuh wiederkäuen sehen? „Wiederkäuen“ bedeutet u. a. auch etwas ständig wiederholen. Eine Kuh kann aber mit leerem Magen ebensowenig wiederkäuen, wie man mit einem leeren Sinn Gedanken wiederholen oder über etwas nachsinnen kann. Deshalb ist das Studium der Bibel von großem Wert, denn je mehr du studierst, desto mehr biblische Gedanken kannst du wiederholen. Und selbst wenn du dich für einen schlechten Schüler hältst, wirst du feststellen, daß dir das Bibelstudium bei etwas Anstrengung nach und nach leichter fällt und dir mehr Freude bereitet. Neue Gedanken werden sich mit schon bekannten verbinden. Anscheinend unzusammenhängende Gedanken werden sich zu einem zusammenhängenden Muster ordnen. Salomo sagte: „Für den Verständigen ist Erkenntnis etwas Leichtes“ (Sprüche 14:6). Aber es ist Zeit erforderlich. Und falls das Studium des Wortes Gottes gegenwärtig nicht zu deinen großen Freuden im Leben zählt, warum dann nicht über dieses Problem nachsinnen, und zwar gleich jetzt?
Frage dich: Warum habe ich so wenig geistigen Appetit? Lasse ich vielleicht zu, daß ich zuviel minderwertige geistige Speise genieße, wie zum Beispiel Liebesromane und rührselige Familiendramen im Fernsehen oder entsprechende Hörspiele im Rundfunk? Pflege ich unnötigerweise mit Personen Gemeinschaft, durch die ich in geistiger Hinsicht geschwächt werde? Darüber eingehend nachzudenken kann dir helfen, notwendige Änderungen vorzunehmen.
Den ersten Christen waren Exemplare der Bibel nicht so leicht zugänglich wie uns heute. Dennoch konnten sie Gottes Wort geschickt handhaben. (Beachte zum Beispiel die Bibelkenntnis des Stephanus, die aus Apostelgeschichte 7:2-53 zu erkennen ist.) Zweifellos bemühten sie sich, soviel wie möglich zu behalten, wenn in den Zusammenkünften aus der Heiligen Schrift vorgelesen wurde oder wenn sie von Zeit zu Zeit selbst darin lasen.
Hast auch du dich schon bemüht, zumindest gewisse Schlüsseltexte auswendig zu lernen? Das ist wirklich nicht zu schwierig, wenn du dich darauf konzentrierst. Mache eine einfache Probe, und stelle einmal fest, ob du den Wortlaut der folgenden Schrifttexte kennst: Matthäus 24:14, 1. Mose 3:15, Offenbarung 21:3, 4, Psalm 83:18, Johannes 17:3 und 2. Timotheus 3:1-5.
„Während der Nachtwachen“
Der Psalmist weist auf mindestens einen Vorteil hin, den das Auswendiglernen von Schrifttexten hat: „Wenn ich deiner gedacht habe auf meinem Lager, sinne ich über dich während der Nachtwachen“ (Psalm 63:6). Wenn man nicht schlafen kann, verliert man sich leicht in Träumereien. Man sollte jedoch lieber wie David beten: „Laß die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens angenehm werden vor dir, o Jehova“ (Psalm 19:14). Wer Bibeltexte auswendig weiß, kann leichter in Übereinstimmung mit diesem Gebet handeln.
Es kann auch vorkommen, daß man mitten in der Nacht aufwacht und sich sehr niedergeschlagen fühlt. Wiederholt man aber langsam und mit Wertschätzung einige ermutigende Worte aus der Bibel, wie zum Beispiel aus 2. Mose 34:6, so kann sich das sogleich erfrischend und nützlich auf einen auswirken: „Jehova, Jehova, ein Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und überströmend an liebender Güte und Wahrheit.“ Oder wenn dich Kummer und Sorgen nicht schlafen lassen, dann versuche, dich an die folgenden tröstenden Worte zu erinnern: „Seid um nichts ängstlich besorgt, sondern laßt in allem durch Gebet und Flehen zusammen mit Danksagung eure Bitten bei Gott bekanntwerden; und der Friede Gottes, der alles Denken übertrifft, wird euer Herz und eure Denkkraft durch Christus Jesus behüten“ (Philipper 4:6, 7).
Hilfe beim Lösen von Problemen
Heutzutage nehmen die Probleme überhand. Eltern sehen sich beispielsweise fortwährend vor schwierige Entscheidungen gestellt. Die Ausbildung eines Kindes, seine Gesundheit, seine Kleidung, sein Fortschritt in der Christenversammlung und die Wahl seiner Freunde sind nur einige der Dinge, mit denen sie sich zu beschäftigen haben. Wie findet man unter scheinbar zahllosen möglichen Handlungsweisen die beste heraus? Augenblicksentscheidungen hat man später oft zu bereuen. Deshalb sagt die Bibel: „Das Herz des Gerechten sinnt nach, um zu antworten“ (Sprüche 15:28).
Man muß Tatsachen kennen, um darüber nachsinnen zu können, und die Veröffentlichungen der Wachtturm-Gesellschaft sind in dieser Hinsicht eine reiche Fundgrube. Den Rat anderer erfahrener christlicher Eltern und/oder Versammlungsältester zu beachten kann dir ebenfalls helfen, gewisse Dinge vom richtigen Standpunkt aus zu sehen.
Durch Nachsinnen kannst du Prüfungen deines Glaubens durchstehen. Zum Beispiel ändert sich mitunter unser Verständnis gewisser Bibeltexte und Prophezeiungen. „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Licht, das heller und heller wird, bis es voller Tag ist“, heißt es in Sprüche 4:18. Einige sind jedoch wegen dieser Verfeinerungen beunruhigt. Aber die „Gerechten“ nehmen sich Zeit, um nachzusinnen und neue biblische Wahrheiten in sich aufzunehmen, statt übereilt zu schlußfolgern, der ‘treue Sklave’ habe sich geirrt.
Eine Hilfe zum Ausharren
Jesus sagte warnend: „Der Teufel wird fortfahren, einige von euch ins Gefängnis zu werfen, damit ihr völlig auf die Probe gestellt werdet“ (Offenbarung 2:10). Plötzlich in ein schmutziges Gefängnis geworfen zu werden, wo man keine Bibel hat und nicht mit einem Glaubensbruder zusammen ist, an den man sich wenden kann, mag tatsächlich zu einer starken seelischen Erschütterung führen.
Vor mehreren Jahren befanden sich einige junge Zeugen Jehovas in Südafrika viele Monate in Einzelhaft, weil sie für die christliche Neutralität eintraten. Glücklicherweise wurde ihnen erlaubt, eine Bibel zu haben, doch einer von ihnen gab zu: „Ohne Bibel wäre ich ‚untergegangen‘, da ich mir sehr wenig gemerkt hatte.“ Ein anderer, der sich zwar bemühte, die Bibel zu lesen, aber nicht darüber nachsann, stellte bald fest, daß er geistig schwach wurde. Er begann deshalb, mehr über das Gelesene nachzusinnen. Schließlich fand er heraus, wie erhebend es sein kann, zunächst zu Jehova zu beten und sich dann beim Lesen der Bibelverse beispielsweise zu fragen: „Wie kann ich das anwenden oder diese Gefahr meiden? Wie hilft es mir, Jehova kennenzulernen? Welche weiteren Bibelstellen stehen damit in Verbindung?“ Was war das Ergebnis? Trotz seiner mißlichen Lage sagte er: „Durch diese Erfahrung wurde mein Glaube am meisten gestärkt.“
„Den ganzen Tag“
Ob sich treue Diener Jehovas Glaubensprüfungen gegenübersehen oder lediglich den Mühen und Plagen des Alltags, sie sollten so eingestellt sein wie der Psalmist, der sagte: „Wie liebe ich doch dein [Gottes] Gesetz! Den ganzen Tag befasse ich mich damit“ (Psalm 119:97). Die Umstände mögen es nicht zulassen, daß wir tatsächlich „den ganzen Tag“ nachsinnen. Dennoch sollten wir ständig daran interessiert sein, Gottes Wort zu befolgen.
Nimm dir ein Beispiel an Jesus Christus, der nach Gelegenheiten suchte, zu beten und nachzusinnen (Matthäus 14:13). Wenn er diese Notwendigkeit empfand und Zeit dafür einräumte, sollten wir es dann heute nicht auch tun?
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Ist es nicht viel besser, seinen Geist in Zucht zu nehmen und aufmerksam zu sein, statt vor sich hin zu träumen?