Wir können für Gottes Geduld und Zucht dankbar sein
MAN hat schon Menschen sagen hören, Gott handle unvernünftig, unfair oder langsam. Einige würden gern an Gott glauben, doch können sie nicht verstehen, weshalb Gott heute nichts unternimmt, um Verbrechen, Ungerechtigkeit und Bedrückung zu beseitigen.
Menschen übersehen jedoch leicht die Tatsache, daß die bloße Anwendung einer Übermacht, wozu Gott ihrer Meinung nach in der Lage wäre, gewöhnlich nicht die beste Art und Weise ist, um zu verhindern, daß etwas Böses wieder auftritt. Die Lösung des Problems mag Zeit, Geduld und Überlegung erfordern.
Ein Vater könnte beispielsweise seinen Sohn jedesmal, wenn dieser ungehorsam ist, streng bestrafen, oder er könnte ihn verstoßen und aus dem Haus jagen. Würde der Sohn aber dadurch zurechtgewiesen und das Problem gelöst werden? Würde es dem Sohn helfen oder den Ruf des Vaters retten? Würde es dem Wohl der Familie dienen? Die bloße Anwendung von Macht oder Gewalt könnte die Angelegenheit, soweit es den Sohn und andere betrifft, die die Sache beobachtet haben, eher verschlimmern. Das ist darauf zurückzuführen, daß Menschen nicht Maschinen oder Tieren gleichen, bei denen es lediglich einer größeren Macht bedarf, um sie zu steuern und zu beherrschen.
Gott handelt mit den Menschen, die ‘in seinem Bilde und Gleichnis’ gemacht sind, anders (1. Mose 1:26, 27). Die Menschen spiegeln, wenn auch unvollkommen, dieses Bild immer noch wider, indem sie unter anderem Denkvermögen, Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit anwenden. Menschen müssen verstehen, warum etwas auf eine bestimmte Weise getan wird, und darüber nachdenken. Ihr Herz muß berührt werden. Dann werden sie sich bemühen, falls sie nicht selbstsüchtig und unvernünftig sind, sich dem anzupassen, was richtig ist (Ps. 32:9; Röm. 2:4).
Ein Vater mag feststellen, daß es nur eine einzige Möglichkeit gibt, seinem Kind eine Sache klarzumachen. Vielleicht muß er es wiederholt warnen. Er mag erkennen, daß er das Kind die Auswirkungen oder Folgen seiner Torheit spüren lassen sollte. Einige Eltern machen den Fehler, das Kind zu sehr zu beschützen und es vor den Folgen jeder Schwierigkeit zu bewahren, in die es selbst hineintappt. Andere mögen Drohungen oder körperliche Züchtigung anwenden, aber das Kind begreift immer noch nicht. Als letzte Strafmaßnahme mag der Vater dem Kind etwas entziehen, was es besonders gern hat (Spr. 23:13, 14).
Desgleichen läßt Gott zum Wohl des Menschen Geduld walten, gibt vernünftige Erklärungen und züchtigt, da er weiß, daß die Menschen davon überzeugt werden müssen, daß er richtig handelt und daß seine Herrschaft die einzig wünschenswerte für die Erde ist. Daher hat er zugelassen, daß die Menschen ihren eigenen Weg der Unabhängigkeit gehen. Bis heute haben sie es mit jeder erdenklichen Regierungsform versucht — mit Monarchien, Oligarchien, sozialistischen und kommunistischen Regierungen, Republiken, Demokratien, Militärdiktaturen und Junten sowie mit Hierarchien (in denen eine Priesterschaft herrscht).
Die weltlichen Regierungen sind heute längst nicht mehr so stabil wie früher, und man sagt, daß die Gesellschaft, wie wir sie kennen, nicht fortbestehen kann. Die Menschen können einfach nicht alle Probleme lösen. Diese nehmen mit jedem Versuch, sie zu lösen, noch zu. Wenn Gott daher dieses gegenwärtige Weltsystem vernichtet, werden die Menschen verstehen, daß alle ihre Versuche, sich selbst zu regieren, Fehlschläge gewesen sind. Alle, die für Gottes himmlische Herrschaft eingetreten sind, werden von den verschiedenen Arten der Menschenherrschaft derart enttäuscht sein — so gründlich davon überzeugt, daß keine funktioniert —, daß sie nie den Wunsch haben werden, auch nur im entferntesten zu irgendeiner Form einer von Menschen geschaffenen Regierung oder einem ihrer Grundzüge zurückzukehren (Phil. 2:9-11; Jes. 45:23, 24).
EIN BEISPIEL DER GEDULD UND ZUCHT
Der Bericht darüber, wie Gott mit dem Volk Israel handelte, liefert uns ein Beispiel für diese Art der Zucht Gottes. Als die Israeliten auf dem Weg in das Verheißene Land waren, warnte Gott sie als ein guter Vater vor der Gefahr, sich durch die Verehrung der Götter der Völker, die in diesem Land und in den Nachbarländern wohnten, in Götzendienst verstricken zu lassen. Er sagte durch Moses: „Du sollst ihren Göttern nicht dienen, denn das wird dir zur Schlinge sein“ (5. Mose 7:16).
Gott warnte die Israeliten damals mehr als dreißigmal ausdrücklich vor den falschen Göttern der Nationen, vor Götzen aus Holz, Stein oder Metall, die für Gott, den Herrscher, eine ausgesprochene Beleidigung waren.
Aber die Israeliten ließen diese wiederholten Warnungen außer acht; sie erfaßten in Wirklichkeit nicht ihre volle Bedeutung. Sie behaupteten zwar weiterhin, Jehova anzubeten und sein Volk zu sein, doch ließen sie sich dazu verführen, zwei Herren zu dienen. Sie verfielen dem Irrtum, zu denken, Jehova anbeten zu können und gleichzeitig den örtlichen Gott Baal anrufen und ihm sogar opfern zu können, um eine gute Ernte zu haben und andere Vorteile zu genießen (Jer. 7:9; 44:15-23).
Dreißig Warnungen sollten den Israeliten genügt haben, besonders nach all dem, was sie erlebt hatten, als Jehova sie aus Ägypten befreite. Wurde Gott aber ungeduldig, ließ er sich über sie erbittern, und gab er sie als einen unmöglichen Fall auf? Nein, als ein weiser Vater züchtigte er sie. Er ließ zu, daß sie von Zeit zu Zeit unter den Folgen ihrer Torheit zu leiden hatten, indem er sie durch andere Völker bedrücken ließ und sie rettete, wenn sie ihn um Hilfe anriefen. Dieser Zustand hielt 850 Jahre an.
Aber die Israeliten gaben selbst bei dieser Züchtigung die Sünde des Götzendienstes nicht auf, eine Sünde, die Schmach auf den Gott brachte, den zu vertreten sie vorgaben. Doch das bedeutete für Gott keine Niederlage. Obwohl er an seinem Vorgehen kein Gefallen hatte, tat er schließlich, was er tun mußte, um sie zu überzeugen (Klag. 3:33). Er ließ die Babylonier in das Land eindringen und die Hauptstadt Jerusalem sowie, was noch schlimmer war, den Tempel Gottes, der dort stand, zerstören (2. Chron. 36:15, 16).
Für die Juden war dies die schwerste Strafe, der größte Schock. Sie hatten gedacht, sie könnten weiterhin Götzendienst treiben und gleichzeitig erwarten, daß ihr Tempel und ihre Stadt, Jerusalem, bestehenblieben. Ihre heilige Stadt und der Tempel waren ihr ein und alles gewesen. In ihrer Selbstzufriedenheit hatten sie geglaubt, Jerusalem werde ewig bestehen und sie würden nie völlig aus ihrem Land weggeführt werden, so daß es verödet zurückbliebe. Aber nun war gerade das, was sie für unmöglich gehalten hatten, geschehen (Klag. 2:1, 2; 4:12).
Einigen Juden kam dadurch zum Bewußtsein, daß Götzendienst eine schwerwiegende Sünde ist. Zumindest sie zogen daraus die Lehre, die ihnen Gott auf sanftere Weise hatte erteilen wollen. Sie waren ein für allemal vom Götzendienst geheilt. Nachdem ein gehorsamer Überrest im Jahre 537 v. u. Z. nach Jerusalem zurückgekehrt war, begingen die Juden weitere Sünden, doch nie wieder duldeten sie Götzendienst (Klag. 3:31, 32).
Wie wirkungsvoll Gottes Zucht war, zeigt ein Vorfall, der sich 560 Jahre später ereignete und über den der jüdische Geschichtsschreiber Josephus berichtetea:
„Tiberius [sandte] ... den Pilatus als Landpfleger. ... Dieser [ließ] eine Anzahl verhüllter Bildnisse des Cäsars ... nach Jerusalem bringen. Kaum aber graute der Tag, als eine hochgradige Aufregung sich der Stadt bemächtigte. ... Allmählich zog die Erbitterung der Stadtbewohner auch das Landvolk in großen Scharen herbei ... nach Cäsarea zu Pilatus. ... sie [warfen] sich zu Boden und blieben fünf Tage und ebenso viele Nächte liegen, ohne sich zu rühren.“
Diese Begebenheit war ein Beweis dafür, daß es vernünftig und für die Betroffenen von Nutzen gewesen war, daß Gott gegenüber den Israeliten jahrelang mit Bedacht gehandelt hatte und geduldig gewesen war. Die Stadt Jerusalem und ihr wieder erbauter Tempel standen, als der Messias erschien. Der Messias konnte einer Nation vorgestellt werden, die nicht alle möglichen Götter, sondern nur den Höchsten anbetete. Die Juden konnten somit den Messias als denjenigen erkennen, der von ihrem einzigen Gott, Jehova, gesandt worden war. Mit Hilfe ihres einzigen heiligen Buches, der Hebräischen Schriften, konnten sie ihn unzweideutig identifizieren (Joh. 5:39).
AUFRICHTIGE PERSONEN KÖNNEN AUS GOTTES HANDLUNGSWEISE MIT DEN MENSCHEN NUTZEN ZIEHEN
Wie Gott mit der Menschenwelt im allgemeinen handelt, ist gleichfalls ein Zeugnis für die ungeheure Geduld und Weisheit, die er darin zeigt, daß er auf uns als seine vernunftbegabten Geschöpfe Rücksicht nimmt. Er geht nicht mit Strenge vor. Er hat das Menschengeschlecht bis heute am Leben erhalten. Und die anscheinende Verzögerung ist nicht etwa darauf zurückzuführen, daß er langsam wäre (2. Petr. 3:9).
Wenn Gott das gegenwärtige bedrückende System vernichtet und über die Erde seine Königreichsherrschaft unter Jesus Christus aufrichtet, werden die Menschen einen Vergleich ziehen können, ja den Gegensatz erkennen können zwischen dieser vorzüglichen vom Himmel ausgeübten Herrschaft und dem, was sie während der Zeit erlebt haben, „da der Mensch über den Menschen zu seinem Schaden geherrscht hat“ (Pred. 8:9). Sie werden beobachten, daß diese Regierung nicht korrupt ist. Ferner werden sie Zeugen davon sein, daß die Menschen durch die priesterliche Verwaltung Christi von Krankheiten geheilt werden, wofür Christus schon auf der Erde durch seine Heilungen Beispiele geliefert hat (Luk. 4:31-36; 5:12-15; Matth. 9:27-34). Alle, die aufrichtig sind und in ihrem Herzen das lieben, was recht ist, werden dieses Königreich ganzherzig unterstützen (Jes. 26:9). Sie werden dann Gott zu Recht für seine Geduld lobpreisen, die er dadurch gezeigt hat, daß er die sündigen Menschen nicht aufgegeben hat.
[Fußnote]
a Geschichte des Jüdischen Krieges, Flavius Josephus, übersetzt von Dr. H. Clementz, Zweites Buch, 9. Kapitel, S. 215.
[Bild auf Seite 8]
Jehovas Gericht an der götzendienerischen Stadt Jerusalem führte dazu, daß die Juden nie wieder Götzendienst trieben.