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Mein Lebensziel verfolgendDer Wachtturm 1957 | 15. Juni
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sonntags den Wachtturm mit uns. Obwohl keine Versammlung organisiert war, suchten wir doch die Zusammenkünfte einer solchen einzuhalten; und unsere Wertschätzung für die wichtige Rolle, die eine Versammlungsorganisation im Leben eines Christen spielt, vertiefte sich.
Im August 1945 begaben wir uns in ein größeres Gebiet, nämlich nach Ottumwa, Iowa. In dieser Stadt von 40 000 Einwohnern hatten wir die Freude, uns wieder mit einer Versammlung verbinden zu können. Einen Monat später schrieb uns die Schwester in Washington, daß einer der Menschen guten Willens, die wir ihrer Obhut anvertraut hatten, nun in der Wahrheit sei. Wir konnten es kaum glauben; doch wenige Wochen später kamen sie beide auf Besuch und verbrachten einen Tag mit uns im Dienste in Ottumwa.
Nun nahten unsere Tage der Gileadschulung. Die achte Klasse sollte ihren Kurs nach dem Kongreß in Cleveland (1946) beginnen, dem wir beiwohnten. Wie erhebend war es doch, ein Glied dieser ersten internationalen Klasse zu sein und soviel über Indien, Afrika, Finnland, Irland und andere Länder zu hören! Eines Abends, als Erfahrungen ausgetauscht wurden, erzählte uns ein finnischer Bruder die Erfahrungen eines Bruders, der in einem Gefangenenlager tatsächlich vor einem Exekutionskommando gestanden hatte. Dann wies er auf den Bruder hin — es war einer unserer Mitstudenten. Ein anderer großer Augenblick kam an dem Abend, als die ausländischen Brüder ihre Gebietszuteilungen erhielten, nämlich für China, Afrika, die Philippinen, die Fidschiinseln, Malta — um nur einige wenige Länder zu erwähnen, nach denen sie bald abreisen sollten. Alle sprachen zur gleichen Zeit, und die Räume widerhallten von fröhlichem Lachen. Auch wir übrigen sehnten uns danach, unsere Gebiete zu erhalten. Schließlich kam der Graduierungstag, und alle reisten ab, und wir fragten uns, wann wir uns wohl wiedersehen würden.
Nun war unser Dreiergrüppchen etwas größer geworden, denn wir wurden zu viert einer der Versammlungen der Stadt New York zugeteilt. Die Monate eilten vorbei, und der Höhepunkt war eine Reise im August quer über den Kontinent zur Hauptversammlung in Los Angeles. Kaum hatten wir die Arbeit in New York wieder aufgenommen, wurden wir für zwei Monate nach Philadelphia gerufen, um dort Vorkongreßarbeit zu leisten. Während unseres dortigen Aufenthaltes erhielten wir unsere Auslandszuteilung. Erregt rissen wir den Briefumschlag auf — jemand bemerkte, wir würden wahrscheinlich nach Chile gesandt — denn das war das weitest entlegene Land. Und tatsächlich — Chile war unsere Bestimmung!
Wir segelten von New York ab und trafen siebzehn Tage später in Valparaiso, unserem ersten Auslandsgebiet, ein. Diese außergewöhnliche Stadt, die zweitgrößte Chiles, ist auf vierzig Hügeln erbaut, von denen jeder einen Namen hat. Als wir dort hinkamen, gab es bereits eine Versammlung, aber sie war sehr klein. Oft war außer den Missionaren nur eine Person anwesend. Während des ersten Jahres bildete die Sprache unser Hauptproblem. Nachdem wir unser kurzes, vorbereitetes Zeugnis gegeben hatten und etwas innehielten, begannen jeweils die Wohnungsinhaber mit furchtbarer Schnelligkeit zu sprechen und Wörter zu gebrauchen, die uns meilenlang vorkamen. Aber nach und nach lernten wir es, die einzelnen Wörter zu erkennen und selbst zu gebrauchen. Alle Leute waren überaus geduldig mit uns. Ich wunderte mich oft, daß sie über die komischen Fehler, die wir machten, nicht lachten, sondern uns ernst korrigierten. Mehrere Monate später lachten sie dann, als sie uns erzählten, wie sie kaum ein Wort von dem verstanden hätten, was wir zuerst gesagt hatten. Ja, einige der Personen, die wir im ersten Jahre unserer dortigen Tätigkeit besuchten, sind heute Verkündiger.
Bruder Knorrs Besuch in Chile im März 1949 und unsere wunderbare Versammlung in Santiago, der 450 Personen beiwohnten, sind für uns liebliche Erinnerungen. Fünf Jahre später, als er uns wieder besuchte, waren über tausend Personen anwesend. Als wir nach Chile kamen, gab es dort durchschnittlich 200 Verkündiger. Dieses Jahr haben wir die Grenze von 1200 überschritten. Manchmal schien es uns nur langsam vorwärtszugehen, besonders wenn wir den Fortschritt von Tag zu Tag betrachteten; aber wenn wir nun über die vielen Jahre zurückblicken, begeistern uns die Ergebnisse.
Im Januar 1950 wurden wir nach Santiago, der Hauptstadt von Chile, versetzt. Sechs Monate später befanden sich unser sechzehn unterwegs nach dem Kongreß im Yankee-Stadion. Unsäglich beglückt, dort gewesen zu sein und neue Mittel zum Gebrauch im Dienste empfangen zu haben, waren wir zurückgekehrt und hatten unsere Arbeit wieder aufgenommen. In den darauffolgenden drei Jahren wuchs unsere Versammlung beständig. Es war ermutigend, zu sehen, wie viele der Verkündiger zur Reife heranwuchsen. Doch gab es auch Enttäuschungen, indem einige eine Weile mit uns studierten und dann wieder aufhörten. Hier trifft es zu, daß bei vielen die Liebe zur Wahrheit nicht stark genug ist, eine Änderung in ihrem persönlichen Leben herbeizuführen. Die moralischen Maßstäbe sind nicht sehr hoch, und es herrscht eine angeborene Neigung, es sich im Leben bequem zu machen. Aber trotzdem gibt es Personen, die der Wahrheit in ihrem Leben den ersten Platz einräumen. Solchen Hilfe zu bieten ist ein beglückendes Vorrecht.
Yankee-Stadion 1953 — ja, wir flogen mit gechartertem Flugzeug nach New York! Für alle Delegierten aus Chile war die Graduierung des ersten chilenischen Missionars ein Höhepunkt des Kongresses. Er war mit einer der Missionarinnen während der ersten Monate, in denen sie dort wirkte, in Berührung gekommen. Wir waren auch glücklich, wieder mit unseren Klassenkameraden, die in verschiedenen Teilen der Welt dienen, im Yankee-Stadion zu sprechen und etwas von ihrer Arbeit zu hören, und es war ganz offensichtlich, daß jeder seine Dienstaufgabe als die beste betrachtete. Wir stimmten alle überein, daß wir nicht den Wunsch hegten, in unser erstes Pioniergebiet zurückzukehren.
Nach Chile zurückgekehrt, besuchte ich eine Wachtturm-Abonnentin. Sie sagte mir, sie habe die Zeitschriften einer interessierten Freundin ausgeliehen. Als ich die Freundin aufsuchte, stellte es sich heraus, daß sie bereits viel von der Wahrheit in sich aufgenommen hatte. Wir begannen ein Studium, und nach wenigen Monaten begleitete sie mich in den Dienst und wurde bei der nächsten Versammlung getauft. Eine weitere Person, die begonnen hatte, mit mir von Tür zu Tür zu gehen, bat mich, sie zu einer Freundin zu begleiten, der sie Zeugnis gegeben hatte. Wir ließen dort beim ersten Besuch einen Satz von drei Büchern und eine Bibel zurück und erlangten ein Wachtturm-Abonnement, und in der darauffolgenden Woche begannen wir ein Studium. Nun ist sie bereit, mit uns Dienst zu tun.
Der Königreichsdienst ist die einzige Tätigkeit, die sich lohnt, denn er bringt uns am meisten Freude und Trost, und zwar nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch uns selbst. Unlängst wurde mir das besonders klar, als meine Schwester, mit der ich zehn Jahre Pionierdienst getan hatte, plötzlich tödlich verunglückte, und dies nur wenige Monate, nachdem sie nach Afrika gereist war, um einen Missionar zu heiraten und dort den Vollzeitdienst fortzusetzen. Tatsächlich stärkte mich damals nichts so sehr wie der Dienst, mit dem meine Tage ausgefüllt waren, indem ich mein Lebensziel verfolgte und den „Schafen“ die trostreiche Botschaft von der nahenden, herrlichen neuen Welt brachte. Wenn ich auf die zwölf Jahre Pionierdienst zurückblicke, finde ich, daß sie in der Tat die reichsten Jahre meines Lebens gewesen sind. Freudig blicke ich den Vorrechten der nächsten zwölf Jahre und der zahllosen, darüber hinausgehenden, weiteren Jahre entgegen!
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Einblick in die Wehen der WeltDer Wachtturm 1957 | 15. Juni
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Einblick in die Wehen der Welt
Der Geschichtsforscher Arnold J. Toynbee äußerte vor Jahren einige treffende Worte, die heute noch treffender sind, da wir sehen, daß in der Welt überall die Feuer des Nationalismus brennen. „Ein Grund, warum unsere Zeit so gefährlich ist“, sagte Dr. Toynbee, „liegt darin, daß wir alle gelehrt wurden, unsere Nation, unsere Fahne und unsere eigene Geschichte zu verehren. Wenn der Mensch nicht in Schwierigkeiten kommen will, dann darf er nur Gott verehren.“ — Look, 17. August 1948.
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