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Wie sie die Vitamine entdecktenErwachet! 1977 | 8. Mai
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die Erklärung dafür sei. Er hatte bemerkt, daß in staatlichen Pflegeanstalten die Patienten an Pellagra erkrankten, nicht dagegen das Personal. Wieso? Zwischen beiden Gruppen bestand ein regelmäßiger Kontakt. Allerdings gehörten zur Verpflegung des Personals Milch, Fleisch und Eier, wogegen die Patienten hauptsächlich von Getreide lebten.
Obwohl Zeitungen in ihren Artikeln die Ergebnisse seiner Forschungen über die Notwendigkeit des Eiweißes veröffentlichten, verbreitete eine Kommission die Ansicht, daß Pellagra eine Infektionskrankheit sei, die durch den Stich der Stallfliege übertragen werde. Goldberger war empört. Er war der festen Überzeugung, daß weitere Tausende von Menschen sterben würden, solange nicht die Ernährung als Ursache erkannt würde. Was konnte er tun, um zu beweisen, daß nicht eine Infektion die Ursache war?
Er kündigte an, daß er und fünfzehn andere Freiwillige sich unter ärztlicher Aufsicht „infizieren“ würden, indem sie den Schleim von Pellagraopfern in ihren Körper aufnehmen würden. Viele zeigten sich sehr überrascht, als keiner der Freiwilligen an Pellagra erkrankte. Von da an wurde Goldbergers Schlußfolgerung anerkannt, daß eine Kost, die hauptsächlich aus Maismehl, Reis und Schweinefett besteht, zur Erkrankung an Pellagra führt.
Goldberger fand aber niemals den eigentlichen Stoff, der die Krankheit verhinderte, die er bekämpfte. Er verlor immer wieder die Spur. Wir können uns ein Bild von seinen Schwierigkeiten machen, wenn wir uns dessen bewußt sind, daß das Vitamin B in Wirklichkeit eine Gruppe komplizierter Stoffe ist, die man nicht leicht voneinander trennen kann. Erst im Jahre 1937 konnte ein anderer Forscher, Dr. Conrad Elvehjem, als er mit Leberkonzentraten arbeitete, die Nikotinsäure isolieren.
Heute wird Nikotinsäure als notwendiger Bestandteil unserer Nahrung angesehen. Ohne Nikotinsäure können andere B-Vitamine in unserem Körper nicht richtig arbeiten. Die Vitamin-B-Gruppe wird immer noch intensiv erforscht, wobei man gegenwärtig ungefähr fünfzehn dazugehörige Vitamine unterscheidet. Es ist allgemein anerkannt, daß sie, zum Beispiel bei der Verhütung von Pellagra, am wirksamsten als „Team“ sind.
Vitamin K — der augenblickliche Erfolg
Freilich wurden nicht alle Vitamine bei der Suche nach einem Heilmittel gegen eine Krankheit entdeckt. In den letzten Jahren hat die Vitaminforschung eine neue Richtung eingeschlagen. Man hat sich mehr auf die Ernährung konzentriert — auf welche Weise jedes neuentdeckte Vitamin im Kampf gegen mehrere verschiedene Krankheiten oder Gesundheitsrisiken eine Hilfe sein könnte.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Vitamin K. Man vermutete seine Existenz zum erstenmal im Jahre 1929, „isolierte“ es kurz darauf, und seit 1939 ist es im allgemeinen Gebrauch. Man benötigte in dem Fall lediglich zehn Jahre. Im Vergleich zur Geschichte der Vitamine können wir das Vitamin K als einen augenblicklichen Erfolg bezeichnen.
Das Vitamin K entdeckte man bei Versuchen mit Hühnern. Man stellte fest, daß ihr Blut bei einer bestimmten Ernährung die Gerinnungsfähigkeit verlor. Das Blut der Hühner gerann schneller, wenn man ihnen Futter mit Sojabohnenkeimlingen gab. Schließlich kam ans Licht, wie wichtig das Vitamin K für die normale Blutgerinnungsfähigkeit ist. Dieses Vitamin wird unter anderem dazu verwendet, Neugeborenen, deren Blut oft eine schlechte Gerinnungsfähigkeit hat, zu einem gesunden Start ins Leben zu verhelfen.
Noch mehr in Aussicht?
Als der Chemiker Funk das Wort „Vitamine“ prägte, ging er davon aus, daß der von ihm entdeckte Stoff vita (lebensnotwendig) sei und ein (stickstoffhaltiges) Amin sei. Wenn auch nicht alle Vitamine Stickstoff enthalten, hat ihm die Zeit in dem wichtigeren Gesichtspunkt recht gegeben. Obwohl ein typisches Vitamin, zum Beispiel das Thiamin, möglicherweise nur 0,001 Prozent einer ausreichenden Nahrung ausmacht, ist es lebensnotwendig.
Trotz allem bedeutet das nicht, daß alle Auseinandersetzungen um Vitamine nur Geschichte sind; die Diskussion hält an. Heute drehen sich die Meinungsverschiedenheiten um die empfohlenen Dosierungen und die Unterschiedlichkeit in der Anwendung. Vielleicht hast du schon in deiner Lokalzeitung einander widersprechende Artikel über den Wert von Vitaminstößen gelesen.
Im allgemeinen wird jedoch anerkannt, daß die Männer, die die Vitamine entdeckten, einen „Freund“ entdeckten. Zudem geben Wissenschaftler bereitwillig zu, daß die Liste der ungefähr fünfundzwanzig „entdeckten“ Vitamine wahrscheinlich zunehmen wird. Sie geben allerdings zu bedenken, daß es keine Grundlage dafür gibt, die Vitamine als Allheilmittel für sämtliche Gesundheitsprobleme zu betrachten. In Wirklichkeit kann die Überdosierung einiger Vitamine schädlich sein.
Unsere Lage scheint also der des verlassenen britischen Seemannes sehr zu ähneln. Er fand auf seiner einsamen Insel nicht den „Jungbrunnen“. Doch wie dankbar muß er gewesen sein, als er durch das vitaminreiche Gras wieder zu Kräften kam! Wir sollten gleichermaßen dankbar sein für unsere begrenzten Kenntnisse von diesen winzigen lebensnotwendigen Verbindungen — unseren Vitaminen.
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Bist du im Dezember in Chichi gewesen?Erwachet! 1977 | 8. Mai
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Bist du im Dezember in Chichi gewesen?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Guatemala
ES KANN durchaus sein, daß ich dich in Chichicastenango nicht gesehen habe, wenn du dich zwischen dem 17. und dem 21. Dezember in dieser ungewöhnlichen Indianerstadt aufgehalten hast. Zu den einzigartigen religiösen Festlichkeiten, die in dieser Stadt in den Bergen Guatemalas abgehalten werden, finden sich jeweils so viele Besucher ein, daß es unmöglich ist, jeden einzelnen zu sehen. Außerdem ist das, was zu dieser Zeit in und um die Kirche vor sich geht, so frappierend, ja geradezu schockierend, daß ich diesen Vorgängen meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Man mag diesem oder jenem Glauben anhangen, doch wenn man über die Vorgänge in Chichicastenango nachdenkt, versteht man, warum gesagt wird, hier habe eine Verschmelzung der heidnischen und der „christlichen“ Religion stattgefunden.
„Chichi“ ist die Abkürzung von Chichicastenango, was „Nesselstadt“ bedeutet. Dieser Ort wurde 1524 das kulturelle Zentrum der Quiché, eines Stammes der Maya, nachdem der spanische Eroberer Pedro de Alvarado die rund 20 Kilometer nördlich davon gelegene Festung Utatlán niedergebrannt hatte.
Heute, vierhundert Jahre später, halten die Quiché in Chichicastenango immer noch an den Traditionen ihrer indianischen Vorfahren fest. Sie haben sich ihren Rassenstolz bewahrt, sprechen ihre eigene Sprache und praktizieren, obschon sie „Christen“ sind, religiöse Zeremonien, die offensichtlich im Heidentum wurzeln. Diese religiöse Mischung, die man in der 435 Jahre alten katholischen Kirche Santo Tomás sehen kann, lockt viele an. Wie ich magst auch du dich fragen, wieviel von den Zeremonien den alten Mayagöttern gilt und wo der Katholizismus beginnt — das ist etwas, was viele Katholiken, die zu Besuch hierherkommen, beunruhigt.
Ich lernte die Stadt Chichicastenango vor zwanzig Jahren kennen. Gestützt auf das, was
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