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ÖsterreichJahrbuch der Zeugen Jehovas 1989
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Im darauffolgenden Jahr, als wieder ein Kongreß in Wien stattfand, war auch Johannes Schindler aus Dresden unter den Delegierten. Dieser Kongreß bedeutete einen Wendepunkt in seinem Leben. Inwiefern? Einer der Vorträge gipfelte in dem Aufruf: „Wer ist bereit, in Österreich als Hilfsmissionar zu dienen?“ (Heute würden wir eine solche Person als Pionier bezeichnen.) Sechs Brüder folgten sogleich dem Ruf; einer von ihnen war Johannes Schindler.
Bruder Schindler kehrte zuerst kurz nach Dresden zurück, um seinen Arbeitgeber von seiner Kündigung in Kenntnis zu setzen. Er arbeitete damals als Spezialoptiker für die bekannten Ernemann-Zeiss-Ikon-Werke. Doch wie würde Bruder Schindler ohne diese Beschäftigung für seine materiellen Bedürfnisse sorgen können? Es war ihm zugestanden worden, für persönliche Bedürfnisse einen gewissen Teil des Betrages, den er für abgegebene Literatur erhielt, zurückzubehalten. Allerdings durfte in Österreich gemäß der damaligen Gesetzeslage keine Literatur von Haus zu Haus verkauft werden, und das Gesetz wurde so ausgelegt, daß es sich auf unser Werk bezog. Das einzige, was getan werden konnte, war, dem Wohnungsinhaber gegenüber freundlich zu bemerken: „Wenn Sie etwas für die Unterstützung der missionarischen Tätigkeit beizutragen wünschen, steht es Ihnen frei, dies zu tun.“ Es erforderte völliges Vertrauen zu Jehova, eine Zuteilung unter diesen Umständen anzunehmen. Doch hat nicht Jehova seinen Dienern versprochen: „Ich will dich keineswegs im Stich lassen noch dich irgendwie verlassen.“ (Heb. 13:5)?
Bruder Schindler, damals 24 Jahre alt, hatte bereits in Deutschland, seinem Heimatland, zwei Jahre hindurch Erfahrungen als Verkündiger der guten Botschaft gesammelt. Nun kam er mit 100 Reichsmark in der Tasche nach Österreich und begann hier seine Tätigkeit am 17. Oktober 1925 in der Stadt Wels und Umgebung.
Er versuchte so wirtschaftlich wie möglich zu leben. Er mußte allerdings schon im ersten Monat auf seine finanziellen Reserven zurückgreifen. Am Ende von drei Monaten waren seine Geldmittel aufgezehrt. Von nun an wurden sein Glaube und sein Vertrauen zu Jehova wirklich auf die Probe gestellt. Und Jehova sorgte für seine Bedürfnisse auf seine Weise:
An einem Samstagabend hatte Bruder Schindler gerade mit dem letzten Geld für sich und seinen Pionierpartner die Miete für den Raum bezahlt, in dem sie wohnten, und gedanklich beschäftigte er sich schon mit dem nächsten Tag. Er und sein Partner wandten sich im Gebet an ihren himmlischen Vater. Als erstes ging Bruder Schindler am Sonntagmorgen zum Postamt, das nur für eine Stunde geöffnet war, um zu sehen, ob Post für ihn da sei. Zu seiner Überraschung wurde ihm ein Paket ausgehändigt. Der Inhalt? 500 Broschüren und ein Begleitbrief mit dem Hinweis, daß sie ihm kostenlos zur Verfügung stünden.
Der Gottesdienst in der Kirche am Ort war gerade zu Ende, und die Männer begaben sich, wie sie es gewohnt waren, in die Gaststätte, um ihren Sonntagstrunk zu genießen und Karten zu spielen. Auch Bruder Schindler ging hinein, wandte sich an den Gastwirt, bot ihm eine Broschüre an und fragte, ob er auch zu den Gästen an den Tischen gehen dürfe, um mit ihnen zu sprechen. Die Bitte wurde ihm gewährt.
Bruder Schindler ging an einen Tisch, legte vor jeden der am Tisch sitzenden Männer eine Broschüre und sagte: „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben. Diese Prophezeiung aus der Heiligen Schrift wird sich bald erfüllen. Diese Broschüren werden nicht verkauft, doch wenn jemand etwas für unsere missionarische Tätigkeit beitragen will, so steht es ihm frei, dies zu tun.“ Sobald einer der Männer etwas Kleingeld auf den Tisch gelegt hatte, holten andere ebenfalls ihre Geldbörsen hervor, um es ihm gleichzutun. Furchtlos verbreitete Bruder Schindler die Broschüren von Tisch zu Tisch.
Und da es am Ort noch einige andere Gasthäuser gab, war seine Tasche nach eineinhalb Stunden leer. Bruder Schindler und sein Partner hatten wieder einmal das Geld, um Lebensmittel kaufen und ihre Unterkunft bezahlen zu können. Auf Jehova vertrauend, sahen sie dem nächsten Tag entgegen.
Johannes Schindler war bis zu seinem Tod am 23. Dezember 1986 im Pionierdienst, zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland.
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ÖsterreichJahrbuch der Zeugen Jehovas 1989
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[Bilder auf Seite 81]
Programm des ersten Kongresses der Bibelforscher in Wien, 1924. Der nächste Kongreß war für Johannes Schindler ein Wendepunkt.
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