-
Wissenschaftliche Datierungsmethoden für vorgeschichtliche ZeitenErwachet! 1986 | 22. September
-
-
Die Uran-Blei-Methode
Die radiometrischen Datierungsmethoden können am Beispiel der Methode, die man zuerst angewandt hat, veranschaulicht werden, einer Methode, bei der man sich den Zerfall von Uran zu Blei zunutze macht. Der radioaktive Zerfall an sich folgt streng einem statistischen Gesetz. Die Menge Uran, die in einem bestimmten Zeitabschnitt zerfallen ist, ist immer proportional zur verbliebenen Menge. Daraus leitet sich eine Kurve (siehe Seite 19) ab, an der sich ablesen läßt, wieviel nicht zerfallenes Material zu einer bestimmten Zeit vorhanden ist. Die Zeit, in der jeweils die Hälfte des Urans zerfällt, nennt man Halbwertszeit. Das übriggebliebene Material zerfällt im Verlauf einer weiteren Halbwertszeit erneut zur Hälfte, so daß die ursprüngliche Menge auf ein Viertel schrumpft. Nach Ablauf von drei Halbwertszeiten ist nur noch ein Achtel übrig und so weiter. Die Halbwertszeit des Urans beträgt 4,5 Milliarden Jahre.
Da sich Uran in Blei umwandelt, entsteht fortlaufend mehr Blei. Wieviel sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gebildet hat, ist an der gestrichelten Kurve abzulesen. Die Blei-Kurve bildet das Gegenstück zur Uran-Kurve, das heißt, die Gesamtzahl der Blei- und Uranatome bleibt stets unverändert.
Angenommen, man hätte einen uranhaltigen, aber bleifreien Gesteinsbrocken so dicht versiegelt, daß weder etwas eindringen noch etwas herausgelangen könnte. Irgendwann später würde die Versiegelung entfernt und der Uran- und der Bleigehalt des Gesteins bestimmt werden. Daraus ließe sich errechnen, wie lange das Gestein versiegelt war. Fände man zum Beispiel genausoviel Blei wie Uran, wäre eine Halbwertszeit vergangen, nämlich 4,5 Milliarden Jahre. Würde festgestellt, daß sich nur 1 Prozent des ursprünglich vorhandenen Urans in Blei umgesetzt hätte, ergäbe eine Berechnung anhand der Gleichung dieser Kurve, daß inzwischen 65 Millionen Jahre verstrichen wären.
Betont sei, daß der ursprüngliche Urangehalt des Gesteins nicht bekannt sein muß; nach Ablauf einer gewissen Zeit braucht nur das Verhältnis von Blei zu Uran ermittelt zu werden — das reicht völlig, denn zu Beginn eines solchen Experiments hätte ohnehin niemand dabeisein und irgendeine Messung durchführen können.
Jemandem kommt vielleicht in den Sinn, daß hier in Größenordnungen von Millionen oder Milliarden Jahren gesprochen wird, von riesigen Zeitspannen also, und er mag sich fragen: „Welchen Nutzen hat eine derart langsam tickende ‚Zerfallsuhr‘?“ Nun, sie verrät uns beispielsweise, daß die Erde als solche mehrere Milliarden Jahre alt ist und daß es an manchen Orten Gestein gibt, das bereits einen beträchtlichen Teil dieser langen Zeit dort ist. Geologen betrachten eine so langsam tickende „Zerfallsuhr“ als äußerst nützlich für ihre erdgeschichtlichen Studien.
Wie sicher ist die Methode?
Es muß eingeräumt werden, daß die Datierung nicht so einfach vorzunehmen ist, wie sie hier beschrieben wurde. Wir sind davon ausgegangen, daß das Gestein zu Beginn kein Blei enthält. Das ist gewöhnlich nicht der Fall; zu Anfang ist meist etwas „Urblei“ im Gestein vorhanden. Das prägt dem Gestein von vornherein ein Alter auf — es ist also zu Beginn nicht null Jahre alt. Die zweite Annahme war, daß das Uran im Gestein fest eingeschlossen ist und daß weder etwas eindringen noch etwas herausgelangen kann. Das trifft allerdings nur manchmal zu. Über lange Zeitabschnitte können das Blei und das Uran teilweise ins Grundwasser sickern. Auch ist nicht auszuschließen, daß Blei und Uran in das Gestein eindringen, vor allem in Sedimentgestein. Deshalb eignet sich die Methode am besten für vulkanisches Gestein.
Ein weiterer Störfaktor ist, daß das Gestein möglicherweise Thorium enthält, ein radioaktives Element, das sich ebenfalls langsam in Blei verwandelt. Außerdem liegt das Uran noch in Form eines zweiten Isotops vor — chemisch identisch, aber mit anderer Massenzahl. Dieses zerfällt schneller als das erste, wandelt sich jedoch auch in Blei um. Allerdings handelt es sich bei dem Endprodukt um ein anderes Bleiisotop, so daß außer einer chemischen Analyse ein physikalisches Analysenverfahren nötig wird, um die beiden Isotope — Blei mit unterschiedlicher Massenzahl — voneinander trennen zu können.
Ohne auf diese Probleme näher einzugehen, wird deutlich, daß die Geologen auf ihrer Suche nach einem zuverlässigen Ergebnis damit rechnen müssen, daß die Uran-Blei-Methode ihre Tücken hat. Ihnen kommt es gelegen, daß sie mit anderen radiometrischen Verfahren die Richtigkeit ihrer Altersbestimmungen überprüfen können. Oft kann dasselbe Gestein noch anhand von zwei anderen Methoden untersucht werden.
-
-
Wissenschaftliche Datierungsmethoden für vorgeschichtliche ZeitenErwachet! 1986 | 22. September
-
-
[Übersicht auf Seite 19]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Die Abnahme an Uran und die Zunahme an Blei sind direkt proportional zueinander
100 %
50 %
25 %
12,5 %
Halbwertszeiten 1 2 3
Blei (Argon)
Uran (Kalium)
[Diagramm auf Seite 18]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Uran
Blei
Wieviel Uran (oder Blei) war in dem Gestein ursprünglich enthalten?
Wieviel Uran (oder Blei) drang später in das Gestein ein?
Wieviel Blei entstammt dem Thoriumzerfall?
-