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IslandJahrbuch der Zeugen Jehovas 2005
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Von einer Lawine aufgehalten
Wenn man auf dem Land predigen will, muss man oft Pässe überqueren und mit Straßen vorlieb nehmen, die in den dunklen Wintermonaten vereist und von Schneewehen bedeckt sind. Im Dezember 1974 besuchten Kjell und Iiris Geelnard im Reisedienst Akureyri an der Nordküste. Während der Besuchswoche unternahmen sie eine Fahrt von über 80 Kilometern nach Húsavík. Begleitet wurden sie von Holger und Tove Frederiksen. Die vier bearbeiteten ein paar Tage lang Húsavík und Umgebung und beendeten die Tour mit einem Diavortrag in einer Schule. Als die Zusammenkunft anfing, kam ein eisiger Sturm mit Schnee und Eisregen auf. Nach Schluss, als die Besucher gerade ihre Sachen zusammenpacken wollten, fiel wegen des Schneesturms in der ganzen Stadt der Strom aus. Die Brüder verließen die Schule im Dunkeln, freuten sich aber, dass der Strom erst nach dem Diavortrag ausgefallen war.
Die Geelnards und Frederiksens mussten nach Akureyri zurück. Sie erkundigten sich bei der Polizei und bei einigen Bus- und Lkw-Fahrern nach den Straßenverhältnissen. Man versicherte ihnen, bisher habe es kaum Probleme gegeben. Daraufhin beschlossen sie, so schnell wie möglich aufzubrechen. Doch das Packen bei Kerzenlicht brauchte seine Zeit. Und als sie tanken wollten, musste der Tankwart das Benzin mit der Hand pumpen. Gegen 21 Uhr waren sie endlich startbereit.
Kjell berichtet über die Fahrt: „Zuerst ging es ganz gut, aber dann schneite es immer heftiger. Manchmal war die Straße so schwer zu erkennen, dass Holger aussteigen musste, um uns mit einer Taschenlampe den Weg zu leuchten. Dann blieben wir immer wieder in Schneewehen stecken. Ein paarmal konnten wir uns durch Schieben und Schaufeln befreien, aber dann standen wir plötzlich vor einer enormen Schneewand. Später erfuhren wir, dass dort eine Lawine niedergegangen war. Unter normalen Bedingungen dauert die Fahrt von Húsavík nach Akureyri zwei Stunden, aber wir waren jetzt schon sechs Stunden unterwegs und hatten nur die halbe Strecke geschafft.
Da standen wir nun um drei Uhr morgens — durchnässt, müde und schlotternd vor Kälte. Man kann sich vorstellen, wie froh wir waren, als wir in einem Bauernhof in der Nähe Licht brennen sahen. Deswegen hatten wir den Mut, dorthin zu gehen und anzuklopfen. Holger, ein höflicher und rücksichtsvoller Mensch, klopfte an die Haustür. Da sich niemand rührte, öffnete er die Tür, ging die Treppe hoch und pochte zaghaft an die Schlafzimmertür. Der Bauer und seine Frau schreckten zwar auf, nahmen ihm den Überfall aber nicht übel. Sie erzählten, dass sie beim Stromausfall zu Bett gegangen waren und vergessen hatten, das Licht auszuschalten.
Jetzt bekamen wir eine Kostprobe der isländischen Gastfreundschaft. Der Bauer und seine Frau brachten ihre schlafenden Kinder in einen anderen Raum, damit wir vier zwei Schlafzimmer für uns hatten. Und nach einer kleinen Weile standen heißer Kaffee und köstliches Brot auf dem Küchentisch. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück bestand der Bauer darauf, dass wir zum Mittagessen blieben. Nachdem wir zusammen mit der Familie gegessen hatten, setzten wir die Fahrt nach Akureyri fort. Inzwischen hatten zwei große Schneepflüge die Straße geräumt. Die Gastfreundschaft des Bauern und seiner Frau hatte uns die Gelegenheit geboten, mit ihnen über die biblische Wahrheit zu sprechen.“
Predigen auf See
Kjell Geelnard lernte im Predigtdienst einen jungen Mann mit Namen Fridrik kennen. Er war der älteste Sohn der Familie, war ein gläubiger Mensch und unterhielt sich gern über die Bibel. An seinen vielen Fragen merkte man, dass er großes Interesse daran hatte, die Bibel besser kennen zu lernen. Allerdings war es nicht leicht, ihn wieder anzutreffen, denn er war Maschinist auf einem Trawler. Die meiste Zeit war er auf See, und zwischen den Fangfahrten verbrachte er nur wenige Tage zu Hause. Doch Kjell erkundigte sich immer nach den Aus- und Einlaufzeiten des Trawlers und fragte Fridriks Mutter, wann sie ihren Sohn zurückerwartete. Manchmal erwischte er Fridrik im Hafen und manchmal zu Hause. So konnte er ihm helfen, Fortschritte zu machen.
Ende 1982 war Fridrik zu einem Kongress in Reykjavík eingeladen. Inzwischen war sein Glaube an Jehova schon so weit gewachsen, dass er darum betete, Mittel und Wege zu finden, um dabei sein zu können. Ein Mann aus seiner Mannschaft, der Urlaub beantragt hatte, überlegte es sich plötzlich anders. An seiner Stelle konnte sich Fridrik freinehmen und den Kongress besuchen. Das Programm hinterließ einen tiefen Eindruck bei ihm und er war sich jetzt sicher, dass er Jehova dienen wollte.
Zu Hause angekommen, erzählte Fridrik seiner Verlobten, wie er sich entschieden hatte und wie sich das auf sein Leben auswirken würde. Er wolle sie sehr gern zur Frau nehmen, aber wenn sie sich nicht vorstellen könne, mit einem Zeugen Jehovas verheiratet zu sein, solle sie die Verlobung besser lösen. Am nächsten Morgen klopfte jemand an die Tür des Missionarheims. Draußen standen Fridrik und seine Verlobte. „Helga will die Bibel studieren!“, sagte Fridrik kurz und knapp. Die Missionare kümmerten sich darum. Noch am selben Tag bat ein jüngerer Bruder von Fridrik um ein Bibelstudium. Und in derselben Woche brachte Fridrik seine jüngste Schwester mit zur Zusammenkunft und meinte: „Unnur will die Bibel studieren!“
Fridrik hatte nun den Wunsch, sich zum Zeichen seiner Hingabe an Jehova taufen zu lassen. Zuerst musste er allerdings seine Erkenntnis vertiefen und dann die Tauffragen beantworten. Das Problem war nur, dass er die meiste Zeit auf See zubrachte. Wenn Kjell ihn nicht zu Hause besuchen konnte, dann vielleicht an seinem Arbeitsplatz. Wie könnte man das bewerkstelligen? Fridrik heuerte Kjell als Helfer im Maschinenraum des Trawlers an. So ging Kjell Anfang 1983, mit Bibel und Studienmaterial im Gepäck, an Bord der Svalbakur.
„Das Arbeiten und Predigen an Bord der Svalbakur war ein unvergessliches Erlebnis“, berichtet Kjell. „Der Arbeitstag dauerte von halb sieben morgens bis halb sieben abends. Um 12 Uhr gab es Mittagessen und sowohl vormittags als auch nachmittags hatten wir eine Kaffeepause. Wir nutzten jede freie Minute zum Studieren, und es boten sich viele Gelegenheiten, der Schiffsbesatzung Zeugnis zu geben. An den Abenden studierten wir die Bibel und besprachen biblische Themen. Manchmal gingen wir erst nach Mitternacht zu Bett. Mittags versuchten wir, uns nicht lange in der Messe aufzuhalten, damit wir in Fridriks Kajüte den Tagestext besprechen konnten.“
Bei den Männern an Bord erregte es natürlich Aufsehen, dass jetzt ein Missionar zur Mannschaft gehörte. In den ersten Tagen waren sie argwöhnisch, weil sie nicht wussten, was sie erwartete. Doch dann hörten ihm einige gespannt zu. Einer zeigte ziemlich großes Interesse. Er wollte gerne bei den Tagestextbesprechungen in der Mittagszeit dabei sein. Als sich die Männer eines Mittags etwas ausgedehnter in der Messe unterhielten, wurde er ganz ungeduldig und sagte vor allen anderen zu Kjell und Fridrik: „Können wir jetzt nicht endlich nach oben gehen und den Tagestext lesen?“
Eines Abends luden Kjell und Fridrik die Mannschaft in Fridriks Kajüte ein, um gemeinsam das Erwachet! über Alkoholismus zu besprechen. Sieben Männer folgten der Einladung. Dieses denkwürdige Treffen sprach sich sogar auf anderen Trawlern herum.
„Nach fast zwei Wochen Predigen und Arbeiten an Bord der Svalbakur liefen wir im Hafen ein“, erzählt Kjell. „In dieser Zeit hatte ich mit Fridrik die Tauffragen durchgenommen, wir waren vielen biblischen Themen auf den Grund gegangen und hatten der Mannschaft Zeugnis gegeben und Schriften verbreitet.“ Im Frühjahr 1983 ließ Fridrik sich taufen. Fridriks Mutter, seine Schwester und Helga entschieden sich ebenfalls für die Wahrheit.
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[Bild auf Seite 235]
Iiris und Kjell Geelnard in Akureyri (Januar 1993)
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