Die Sozinianer — Warum lehnten sie die Dreieinigkeit ab?
„So ist der Vater Gott, der Sohn Gott, und der heilige Geist Gott. Und doch sind sie nicht drei Götter, sondern es ist nur Ein Gott.“ So definiert das Athanasianische Glaubensbekenntnis die Dreieinigkeit (Trinität). Die Kirchen der Christenheit lehren sie seit über 1 600 Jahren, und bis heute wird sie als „die Zentrallehre der christlichen Religion“ bezeichnet. Aber ist sie das wirklich? Im Laufe der Zeit haben es einige mutige Männer und Frauen gewagt, zu behaupten, die Bibel lehre etwas anderes, was sie oft mit dem Leben bezahlen mußten.
MICHAEL SERVET gehörte zu ihnen. Er mußte um seines Lebens willen fliehen. An einem Frühlingstag im Jahre 1553 entkam der angesehene Arzt bei Sonnenaufgang aus dem Gefängnis, nur mit seinem Morgenrock und seiner Nachtmütze bekleidet, und floh quer durch das französische Landgebiet. Das Gerichtsverfahren, das die katholischen Behörden in Vienne gegen ihn angestrengt hatten, war schlecht für ihn ausgegangen. Sie wußten, wer er war, denn ihr eigener Todfeind, der Protestantenführer aus Genf, Johannes Calvin, hatte Servet an sie verraten.
So sehr sich Protestanten und Katholiken in jenen ersten Jahren der Reformation auch haßten, waren sie sich doch in ihrem noch größeren Haß gegenüber diesem einen Mann einig. Sein Verbrechen? Ketzerei. Michael Servet hatte Bücher verfaßt, die bewiesen, daß die Dreieinigkeitslehre der Kirchen unbiblisch ist. Er erklärte: „Die papistische Dreieinigkeit, die Kindertaufe und die anderen Sakramente des Papsttums sind Lehren von Dämonen.“
Wohin konnte er sich wenden? Servet mag gewußt haben, daß er einige wenige Anhänger in Norditalien hatte. Verkleidet machte er sich auf den Weg dorthin. Als er jedoch durch Genf kam, wurde er trotz seiner Verkleidung erkannt. Calvin verriet ihn an die Behörden und drängte auf seine Hinrichtung. Am 27. Oktober 1553 wurde Servet lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wobei man ihm eines seiner Bücher an die Hüfte gebunden hatte. Als er starb, betete er noch für seine Feinde; er lehnte es ab zu widerrufen. Einige Zuschauer waren davon so beeindruckt, daß sie sich gegen die Dreieinigkeit wandten.
Lelio Sozzini, einer der Italiener, die bereits von Servets Schriften beeinflußt worden waren, fühlte sich durch diese brutale Hinrichtung bewogen, die Dreieinigkeitslehre selbst zu überprüfen. Auch er kam zu dem Schluß, daß sie keine biblische Grundlage hat. Seine Gedanken teilte er seinem jungen Neffen Fausto mit. Er hinterließ Fausto sogar all seine Unterlagen und Aufzeichnungen. Fausto war so sehr beeindruckt, daß er schließlich beschloß, sein bequemes Leben als Höfling aufzugeben und statt dessen die Wahrheiten, die er aus der Bibel gelernt hatte, an andere weiterzugeben.
Von katholischen Inquisitoren gejagt, floh Sozzini in Richtung Norden. In Polen stieß er auf eine kleine Gruppe Wiedertäufer, die sich „Die Brüder, ... die die Dreieinigkeit ablehnen“ nannten. Für Sozzini stand fest, daß es sich dabei um die Religion handelte, die der biblischen Wahrheit am nächsten kam. Also ließ er sich in Krakau nieder und fing an, für diese Gruppe zu schreiben und sie zu verteidigen.
Was glaubten sie?
Die Sozinianer, wie man sie später nannte, wollten vor allem das wahre Christentum, das in der Bibel gelehrt wird, wiederherstellen. Sie vertraten die Meinung, die protestantische Reformation habe lediglich einen Teil der Korruption und der Riten der katholischen Kirche bloßgestellt, aber den verfaulten Kern, die unbiblischen Lehren, ziemlich unangetastet gelassen.
Wie die religiösen Gruppen um sie herum, so begingen zwar auch die Sozinianer viele Fehler, aber von allen Kirchen und Sekten, die aus der Reformation hervorgegangen waren, hielt sich diese kleine Gruppe mehr als die meisten anderen an die Bibel. Es folgen einige Beispiele. Wir ermuntern dich, die angeführten Bibeltexte in deiner Bibel nachzulesen.
Ebenso wie die Wiedertäufer lehrten die Sozinianer, daß die Kindertaufe unbiblisch ist; die Bibel berichtet nur, daß Erwachsene getauft wurden. Sie traten außerdem entschlossen für das biblische Gebot ein, seinen Nächsten zu lieben und keine Waffe in die Hand zu nehmen. Als Katholiken und Protestanten ganz Europa wie versessen in Blut tränkten, lehnten die Sozinianer jeglichen Kriegsdienst ab. Viele von ihnen starben für diesen biblischen Standpunkt. Des weiteren weigerten sie sich, staatliche Ämter zu bekleiden, weil sie sich dadurch am Krieg hätten mitschuldig machen können.
Sie ließen sich vom Geist des Nationalismus, der zu jener Zeit hohe Wellen schlug, nicht beeinflussen. Sie vertraten die Auffassung, daß Christen in jedem Land der Erde Fremdlinge seien (Johannes 17:16; 18:36). Aufgrund ihrer hohen Sittenmaßstäbe exkommunizierten sie oder schlossen sie jeden aus ihrer Gemeinschaft aus, der sich weigerte, gemäß der sozinianischen Auslegung des Wortes Gottes zu leben oder diese anzuerkennen (2. Johannes 10; 1. Korinther 5:11).
Die Sozinianer gebrauchten freimütig den Eigennamen Gottes, Jehova. Besonders schätzten sie die Worte aus Johannes 17:3, wo es heißt, daß das Aufnehmen von Erkenntnis über Gott und seinen Sohn ewiges Leben bedeutet. Sie betrachteten das ewige Leben als die großartige Hoffnung aller wahren Christen. Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele war für sie völlig verwerflich. Genau wie die Bibel lehrten sie statt dessen, daß die Seele stirbt, und zwar mit der Hoffnung auf Leben durch eine künftige Auferstehung (Hesekiel 18:4; Johannes 5:28, 29).
Ebenso wiesen sie die Höllenlehre als schriftwidrig zurück. Sozzini erkannte klar und deutlich, wie widersinnig es war zu behaupten, Gott würde einen Menschen ewig im Feuer quälen, um ihn für die Sünden zu bestrafen, die er in 70 oder 80 Jahren begangen hatte. Manche frühe sozinianische Führer lehrten sogar Christi Tausendjahrherrschaft über die Erde (Prediger 9:5; Offenbarung 20:4).
Weshalb lehnten sie die Dreieinigkeit ab?
Doch wie Servet vor ihnen waren die Sozinianer am meisten dafür bekannt, daß sie die Dreieinigkeitslehre der Kirchen ablehnten. Warum taten sie das? Aus zweierlei Gründen. In erster Linie erkannten sie, daß die Lehre unbiblisch ist.
Bis auf den heutigen Tag geben Gelehrte bereitwillig zu, daß die Bibel keinen einzigen Hinweis auf die Dreieinigkeit enthält und daß diese Lehre das Ergebnis sogenannter schöpferischer Theologie war — ein Versuch, das „Christentum“ des 4. Jahrhunderts mit griechischer Philosophie zu vermischen. Welchen Platz hatte solch eine Lehre in einer Bewegung, die das wahre Christentum wiederherstellen wollte? Keinen.
Es ist so, wie ein Historiker über Servet sagte: „Statt einer Lehre, deren Begriffe — Dreieinigkeit, Hypostase, Person, Substanz, Wesen — nicht der Bibel entstammten, sondern von Philosophen erfunden worden waren, und deren Christus wenig mehr als ein philosophisches Abstraktum war, wünschte er, daß die Menschen an einen lebendigen Gott glaubten, an einen göttlichen Christus, der eine historische Realität war, und an einen heiligen Geist, der für immer im Herzen der Menschen wirksam ist.“ Er glaubte, daß der Vater, der Sohn und der heilige Geist nur im Sinne von Johannes 17:21 eins sind, und betrachtete den heiligen Geist als Gottes wirksame Kraft, nicht als eine Person.
Des weiteren befanden die Sozinianer die sogenannten biblischen Stützen für die Dreieinigkeit als recht schwach: Die meistzitierte Schriftstelle der Trinitarier, 1. Johannes 5:7, war bereits als Fälschung entlarvt worden; es handelte sich um einen späteren, nichtinspirierten Zusatz zur Bibel. Die andere Stelle, Johannes 1:1, ergibt nur Sinn, wenn Christus als „göttlich“ oder als „ein Gott“ bezeichnet wird, statt ihn dem allmächtigen Gott gleichzusetzen.
Der vernichtendste Schlag für die Dreieinigkeit war allerdings, daß die Beschreibung Gottes, Jesu und des heiligen Geistes in der Bibel jegliche Zugehörigkeit zu einer Dreieinigkeit praktisch unmöglich macht. Wieso? Nun, erstens wird der heilige Geist in der Bibel überhaupt nicht als eine Person, sondern als Gottes wirksame Kraft beschrieben (Lukas 1:41; Apostelgeschichte 10:38). Zweitens kann Christus nicht mit dem Vater „völlig gleich und gleich ewig“ wie er sein, denn die Bibel schildert ihn als dem Vater untertan und zeigt, daß der Vater ihn erschuf (Johannes 14:28; Kolosser 1:15). Und drittens: Wie könnte Jehova, von dem es so oft heißt, daß er der eine Gott ist, in Wirklichkeit Teil einer dreifaltigen Gottheit sein? (5. Mose 6:4; Jesaja 44:6).
Somit verwarfen die Sozinianer die Dreieinigkeit aus biblischen Gründen. Aber sie lehnten sie auch aus Vernunftgründen ab. Gemäß einem Historiker der Reformation vertrat Sozzini folgende Auffassung: „Die Bibel enthält zwar manches Übervernünftige, aber nichts gegen die Vernunft.“ Die Dreieinigkeit mit ihrer widersprüchlichen Vorstellung von einem Gott, der gleichzeitig drei Personen sein soll, fällt eindeutig in die letztgenannte Kategorie. Ein Historiker beschreibt Servets Empfindungen gegenüber dieser Lehre: „Sie verwirrte ihn und erwärmte nicht sein Herz, noch spornte sie ihn zur Tat an.“
Dennoch machten die Sozinianer einige gravierende Fehler, was biblische Lehren betrifft. Sozzini und seine Anhänger verwarfen den Grundsatz des Lösegeldes Christi. Aber die Bibel lehrt eindeutig, daß Christus durch seinen Tod den Preis bezahlte, um die Menschheit von ihrem sündigen Zustand loszukaufen (Römer 5:12; 1. Timotheus 2:5, 6). Sie begingen noch andere Fehler. Beispielsweise sprach sich Sozzini gegen die vormenschliche Existenz Christi aus — eine weitere eindeutige Lehre der Bibel (Johannes 8:58).
Eine kurze und tragische Geschichte
Die Ecclesia minor oder kleinere reformierte Kirche (wie man die Sozinianer offiziell bezeichnete) gedieh in Polen nahezu 100 Jahre. In ihrer Blütezeit zählte sie fast 300 Gemeinden. Die Sozinianer gründeten eine Kolonie in Raków, nordöstlich von Krakau, stellten dort eine Druckpresse auf und eröffneten eine Universität, zu der angesehene Lehrer sowie Studenten aus nah und fern kamen. Mit der Druckpresse produzierte man rund 500 verschiedene Broschüren, Bücher und Traktate in etwa 20 Sprachen. Missionare und reisende Studenten verteilten sie heimlich in ganz Europa. Man hat behauptet, die antisozinianische Literatur, zu der diese Veröffentlichungen während der folgenden zwei Jahrhunderte Anlaß gaben, könnte eine Bibliothek füllen.
Da die Sozinianer von Katholiken und Protestanten gleichermaßen gehaßt wurden, war ihr Frieden nicht von Dauer. Sozzini selbst wurde wegen seiner Glaubensansichten überfallen, geschlagen, beraubt und beinahe ertränkt. Schon vor seinem Tod im Jahre 1604 hatten Jesuiten, deren Absicht es war, die Vormacht der katholischen Kirche in Polen wiederherzustellen, langsam begonnen, sich in Vertrauensstellungen einzuschleichen, um den König zu beeinflussen.
Die Verfolgung der Sozinianer nahm zu. Im Jahre 1611 wurde ein reicher Sozinianer enteignet und verurteilt; das Urteil lautete: Herausschneiden der Zunge, Enthauptung, Abschneiden einer Hand und eines Fußes und anschließende Verbrennung. Natürlich hätte er weiterhin friedlich leben können, wenn er einfach seine Religion gewechselt hätte. Er rückte von seiner Meinung jedoch nicht ab. Unerschrocken ließ er sich auf dem Marktplatz in Warschau hinrichten.
Im Jahre 1658 erreichten die Jesuiten schließlich ihr Ziel. Auf ihr Drängen verordnete der König, alle Mitglieder der Ecclesia minor müßten Polen innerhalb von drei Jahren verlassen, sonst würden sie hingerichtet. Hunderte gingen ins Exil. Brutale Verfolgung flammte auf. Ein paar kleine Versammlungen von Exilanten bestanden noch eine Zeitlang in Siebenbürgen, Preußen und in den Niederlanden, aber diese isolierten Gruppen verschwanden schließlich ebenfalls.
Das sozinianische Erbe
Sozinianische Schriften übten allerdings weiterhin Einfluß aus. Der Rakówer Katechismus, der sich auf Sozzinis Schriften gründete und kurz nach seinem Tod veröffentlicht worden war, wurde 1652 von John Biddle ins Englische übersetzt. Das Parlament ließ Ausgaben davon beschlagnahmen und verbrennen, worauf man Biddle ins Gefängnis warf. Er wurde zwar für einige Zeit entlassen, doch man sperrte ihn wieder ins Gefängnis, wo er dann starb.
Aber die Argumente gegen die Dreieinigkeit gerieten in England nicht so schnell in Vergessenheit; dort erkannten viele gebildete und vernünftige Männer, daß diese Argumente der biblischen Wahrheit entsprachen. Sir Isaac Newton, einer der größten Wissenschaftler der Geschichte, verwarf die Dreieinigkeit in seinen Schriften und wird zuweilen als Sozinianer bezeichnet. Auch Joseph Priestley, den berühmten Chemiker und Entdecker des Sauerstoffs, nannte man einen Sozinianer. John Milton, der bekannte Dichter, lehnte die Dreieinigkeit ebenfalls ab. Tatsächlich fand es der französische Philosoph Voltaire amüsant, daß Luther, Calvin und Zwingli, deren Schriften Voltaire als „unlesbar“ bezeichnete, einen Großteil Europas für sich gewannen, wohingegen „die größten Philosophen und die besten Schriftsteller ihrer Zeit“, wie Newton und andere Sozinianer, lediglich eine winzige und schrumpfende Herde für ihre Sache gewinnen konnten.
Diese Männer betonten wie Sozzini vor ihnen die Wichtigkeit der Vernunft in der Religion. So sollte es auch sein. Die Bibel selbst ermahnt uns, Gott ‘mit unserer Vernunft’ zu dienen (Römer 12:1). Doch in der unitarischen Bewegung, die sich aus sozinianischen Wurzeln in England entwickelte, begannen menschliche Überlegungen über die Bibel zu dominieren. Laut einem Geschichtsbericht über diese Bewegung fingen Unitarier in England und in den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts an, „von der Bibel als der Hauptquelle religiöser Wahrheit abzuweichen“.
Dennoch sind die ersten Sozinianer für viele neuzeitliche Religionsorganisationen ein Beispiel, von dem sie sehr wohl etwas lernen könnten. Ein presbyterianischer Prediger lobte die Sozinianer beispielsweise dafür, daß sie den Krieg ablehnten, verglichen mit der „Unfähigkeit [neuzeitlicher Kirchen] angesichts des Weltkrieges“. Er äußerte die Hoffnung, daß bald alle Kirchen der Christenheit Stellung gegen den Krieg beziehen würden. Diese Worte schrieb er allerdings im Jahre 1932. Nur wenige Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus, und die Kirchen unterstützten erneut das Blutvergießen. Heute werden zahlreiche Teile der Erde vom Krieg heimgesucht. Die Religion verursacht ihn viel häufiger, als sie ihn verhindert.
Wie steht es mit deiner Kirche? Hat deine Kirche, wie so viele heute, den Respekt vor der Bibel verloren? Lehrt sie statt dessen menschliche Ideen? Wie steht es mit Lehren wie der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, der Hölle oder der Dreieinigkeit? Hast du diese Lehren mit dem verglichen, was die Bibel sagt? Die Sozinianer taten es. Wir ermuntern dich herzlich, es ebenfalls zu tun.
[Bild auf Seite 21]
Michael Servet bewies in seinen Büchern, daß die Dreieinigkeitslehre falsch ist
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Mit freundlicher Genehmigung der National Library of Medicine (USA)