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Vor dem Sanhedrin, dann zu PilatusDer größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 121
Vor dem Sanhedrin, dann zu Pilatus
DIE Nacht geht zu Ende. Petrus hat Jesus zum drittenmal verleugnet, die Mitglieder des Sanhedrins haben ihren Scheinprozeß beendet und sind auseinandergegangen. Am Freitag bei Tagesanbruch kommen sie jedoch wieder zusammen, diesmal im Saal des Sanhedrins. Sie haben wahrscheinlich vor, dem nächtlichen Prozeß einen einigermaßen rechtsgültigen Anschein zu verleihen. Als Jesus ihnen vorgeführt wird, sagen sie wie schon in der Nacht: „Wenn du der Christus bist, so sag es uns.“
„Auch wenn ich es euch sagte, würdet ihr es gar nicht glauben“, antwortet Jesus. „Überdies, wenn ich euch fragte, würdet ihr ... nicht antworten.“ Jesus weist indes mutig darauf hin, wer er ist, wenn er sagt: „Der Menschensohn wird von nun an zur machtvollen Rechten Gottes sitzen.“
„Bist du also der Sohn Gottes?“ wollen alle wissen.
„Ihr selbst sagt, daß ich es bin“, erwidert Jesus.
Für diese Männer, die Mordabsichten haben, reicht die Antwort aus. Sie betrachten sie als Gotteslästerung. „Wozu brauchen wir ein weiteres Zeugnis?“ fragen sie einander. „Denn wir haben es selbst aus seinem eigenen Mund gehört.“ Daher binden sie Jesus und führen ihn ab, um ihn dem römischen Statthalter Pontius Pilatus zu übergeben.
Judas, der Verräter Jesu, hat das Verfahren beobachtet. Als er sieht, daß Jesus verurteilt wird, hat er Gewissensbisse. Er geht daher zu den Oberpriestern und den älteren Männern, um die 30 Silberstücke zurückzugeben, und erklärt: „Ich habe gesündigt, als ich gerechtes Blut verriet.“
„Was geht das uns an? Das ist deine Sache!“ erwidern sie herzlos. Da wirft Judas die Silberstücke in den Tempel, geht weg und versucht sich zu erhängen. Der Ast, um den er den Strick gebunden hat, bricht aber offensichtlich ab, und Judas stürzt auf die tiefer liegenden Felsen, wo sein Körper entzweibirst.
Die Oberpriester sind sich nicht sicher, was sie mit den Silberstücken anfangen sollen. „Es ist nicht erlaubt, sie in den heiligen Schatz zu werfen“, folgern sie, „denn sie sind der Blutpreis.“ Nachdem sie sich miteinander beraten haben, kaufen sie mit dem Geld das Feld des Töpfers, um darauf Fremde zu begraben. Das Feld wird daher „Blutfeld“ genannt.
Es ist immer noch früh am Morgen, als Jesus zum Palast des Statthalters gebracht wird. Die Juden, die ihn begleiten, weigern sich jedoch hineinzugehen, da sie glauben, ein solch vertrauter Umgang mit den Heiden verunreinige sie. Aus Gefälligkeit kommt Pilatus heraus. „Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor?“ fragt er sie.
„Wenn dieser nicht ein Missetäter wäre, so hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert“, geben sie ihm zur Antwort.
Pilatus möchte sich nicht in die Sache hineinziehen lassen und erwidert: „Nehmt ihn selbst, und richtet ihn nach eurem Gesetz.“
Die Juden offenbaren ihre mörderische Absicht, indem sie behaupten: „Uns ist es nicht erlaubt, jemand zu töten.“ Wenn sie Jesus tatsächlich während des Passahfestes töteten, käme es wahrscheinlich zu einem öffentlichen Aufruhr, da Jesus von vielen sehr geachtet wird. Sollten sie aber die Römer dazu bringen können, ihn aus politischen Gründen hinzurichten, wären sie letztlich in den Augen des Volkes ohne Schuld.
Die religiösen Führer haben Jesus während des vorausgegangenen Prozesses wegen Gotteslästerung verurteilt, erwähnen es aber nicht und erfinden nun andere Anklagen. Sie klagen ihn in drei Punkten an: „Wir fanden, daß dieser Mensch [1.] unsere Nation aufwiegelt und [2.] verbietet, Cäsar Steuern zu zahlen, und [3.] sagt, er selbst sei Christus, ein König.“
Der Anklagepunkt, mit dem sich Pilatus befaßt, ist, daß Jesus behauptet, ein König zu sein. Er betritt daher wieder den Palast, läßt Jesus zu sich rufen und fragt ihn: „Bist du der König der Juden?“ Mit anderen Worten: Hast du das Gesetz übertreten, indem du dich zum König erklärst, der gegen Cäsar ist?
Jesus möchte wissen, wieviel Pilatus bereits über ihn gehört hat. Deshalb fragt er ihn: „Sagst du das aus dir selbst, oder haben dir andere von mir erzählt?“
Pilatus gibt zu, daß er nichts über ihn weiß, und möchte die Wahrheit erfahren. „Ich bin doch nicht etwa ein Jude?“ erwidert Pilatus. „Deine eigene Nation und die Oberpriester haben dich mir ausgeliefert. Was hast du getan?“
Jesus versucht keinesfalls, der Streitfrage in bezug auf das Königtum auszuweichen. Pilatus ist von der Antwort, die Jesus daraufhin gibt, zweifellos überrascht. Lukas 22:66 bis 23:3; Matthäus 27:1-11; Markus 15:1; Johannes 18:28-35; Apostelgeschichte 1:16-20.
▪ Zu welchem Zweck kommt der Sanhedrin am Morgen wieder zusammen?
▪ Wie stirbt Judas, und was geschieht mit den 30 Silberstücken?
▪ Warum wollen die Juden Jesus nicht selbst töten, sondern es den Römern überlassen?
▪ Welche Anklagen bringen die Juden gegen Jesus vor?
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Von Pilatus zu Herodes und wieder zurückDer größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 122
Von Pilatus zu Herodes und wieder zurück
JESUS macht vor Pilatus zwar keinen Hehl daraus, daß er ein König ist, stellt allerdings klar, daß sein Königreich für Rom keine Bedrohung darstellt. „Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“, sagt Jesus. „Wäre mein Königreich ein Teil dieser Welt, so hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königreich nicht von daher.“ Jesus bestätigt somit dreimal, daß er ein Königreich hat, obgleich es kein irdisches ist.
Doch Pilatus bedrängt ihn weiter: „Nun denn, bist du ein König?“ Er will also von ihm wissen, ob er ein König ist, auch wenn sein Königreich kein Teil dieser Welt ist.
Jesus gibt Pilatus zu verstehen, daß er die richtigen Schlüsse gezogen hat, denn er antwortet: „Du selbst sagst, daß ich ein König bin. Dazu bin ich geboren worden und dazu bin ich in die Welt gekommen, damit ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der auf der Seite der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“
Ja, der eigentliche Zweck der Existenz Jesu auf der Erde ist, für die „Wahrheit“ Zeugnis abzulegen, besonders für die Wahrheit über sein Königreich. Jesus ist bereit, dieser Wahrheit treu zu bleiben, selbst wenn es ihn das Leben kostet. Pilatus fragt zwar noch: „Was ist Wahrheit?“, wartet aber keine weitere Erklärung ab. Er hat genug gehört, um ein Urteil zu fällen.
Er kehrt zu den Volksmengen zurück, die vor dem Palast warten. Offensichtlich steht Jesus bei ihm, als er den Oberpriestern und deren Begleitern erklärt: „Ich finde kein Verbrechen an diesem Menschen.“
Verärgert über diese Entscheidung, behaupten die Volksmengen nun: „Er wiegelt das Volk auf, indem er in ganz Judäa lehrt, ja von Galiläa angefangen bis hierher.“
Der sinnlose Fanatismus der Juden muß Pilatus verwundern. Während die Oberpriester und die älteren Männer ihr Geschrei fortsetzen, wendet er sich an Jesus und fragt: „Hörst du nicht, wie vieles sie gegen dich bezeugen?“ Jesus gibt auch darauf keine Antwort. Daß er trotz der wüsten Anschuldigungen so ruhig bleibt, versetzt Pilatus in Erstaunen.
Als Pilatus erfährt, daß Jesus ein Galiläer ist, sieht er eine Möglichkeit, sich der Verantwortung zu entziehen. Herodes Antipas (der Sohn Herodes’ des Großen), der Herrscher über Galiläa, hält sich anläßlich des Passahs in Jerusalem auf, und Pilatus läßt Jesus zu ihm bringen. Herodes Antipas hatte einige Zeit zuvor Johannes den Täufer enthaupten lassen und war daher in Furcht geraten, als er von den Wundern Jesu hörte, da er befürchtete, Jesus sei in Wirklichkeit der von den Toten auferstandene Johannes.
Herodes freut sich nun sichtlich über die Möglichkeit, Jesus zu sehen. Das tut er jedoch nicht, weil er sich um Jesu Wohlergehen sorgt oder weil er wirklich herausfinden will, ob die Anklagen gegen ihn zutreffen. Er ist tatsächlich nur neugierig und hofft, ein Wunder Jesu mitzuerleben.
Jesus weigert sich jedoch, die Neugier des Herodes zu befriedigen. Ja, er sagt nicht ein Wort, als Herodes ihn befragt. Aus Enttäuschung darüber beginnen Herodes und seine Wachmannschaften, Spott mit Jesus zu treiben. Sie bekleiden ihn mit einem hellglänzenden Kleid und verhöhnen ihn. Dann senden sie ihn zu Pilatus zurück. Daraufhin werden Herodes und Pilatus, die früher verfeindet waren, gute Freunde.
Bei Jesu Rückkehr ruft Pilatus die Oberpriester, die jüdischen Vorsteher und das Volk zusammen und sagt: „Ihr habt mir diesen Menschen gebracht als einen, der das Volk zur Auflehnung reizt, und seht, ich habe ihn vor euch verhört, habe aber an diesem Menschen keinen Grund für die Beschuldigungen gefunden, die ihr gegen ihn vorbringt. Tatsächlich fand auch Herodes keinen, denn er hat ihn zu uns zurückgesandt; und seht, nichts, was den Tod verdient, ist von ihm begangen worden. Ich will ihn daher züchtigen und ihn freigeben.“
Somit erklärt Pilatus Jesus zweimal für unschuldig. Er ist darauf bedacht, ihn freizugeben, denn er erkennt, daß die Priester ihn lediglich aus Neid überliefert haben. Pilatus erhält in seinem Bemühen, Jesus freizugeben, sogar noch einen starken Ansporn. Während er auf seinem Richterstuhl sitzt, erreicht ihn eine Botschaft seiner Frau, die ihn auffordert: „Habe nichts mit diesem gerechten Menschen zu schaffen, denn ich habe heute seinetwegen in einem Traum [offensichtlich göttlichen Ursprungs] viel gelitten.“
Pilatus weiß, daß er den unschuldigen Mann freilassen müßte. Aber wie kann er das tun? Johannes 18:36-38; Lukas 23:4-16; Matthäus 27:12-14, 18, 19; 14:1, 2; Markus 15:2-5.
▪ Was antwortet Jesus auf die Frage über sein Königtum?
▪ Was ist die „Wahrheit“, über die Jesus während seines irdischen Dienstes Zeugnis ablegt?
▪ Welches Urteil fällt Pilatus, wie reagieren die Volksmengen darauf, und was tut Pilatus mit Jesus?
▪ Wer ist Herodes Antipas, warum freut er sich sehr, Jesus zu sehen, und was tut er mit ihm?
▪ Warum ist Pilatus darauf bedacht, Jesus freizulassen?
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„Seht! Der Mensch!“Der größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 123
„Seht! Der Mensch!“
PILATUS, der von Jesu Verhalten beeindruckt und von dessen Unschuld überzeugt ist, sucht nach einer anderen Möglichkeit, ihn freizulassen. „Bei euch [besteht] ein Brauch“, sagt er zu den Volksmengen, „wonach ich euch am Passah einen Menschen freigeben soll.“
Ein berüchtigter Mörder namens Barabbas befindet sich gerade in Haft. Deshalb fragt Pilatus: „Wen soll ich euch nach eurem Willen freigeben, Barabbas oder Jesus, den sogenannten Christus?“
Die von den Oberpriestern überredeten und aufgewiegelten Leute bitten darum, Barabbas freizulassen, Jesus dagegen zu töten. Pilatus gibt jedoch noch nicht auf und fragt erneut: „Welchen von den beiden soll ich euch nach eurem Willen freigeben?“
„Barabbas“, schreien sie.
„Was soll ich denn mit Jesus, dem sogenannten Christus, tun?“ fragt Pilatus bestürzt.
Mit ohrenbetäubendem Geschrei antworten sie: „An den Pfahl mit ihm!“ „An den Pfahl! An den Pfahl mit ihm!“
Da Pilatus weiß, daß sie den Tod eines Unschuldigen verlangen, fragt er: „Nun, was hat dieser Mensch denn Schlechtes getan? Ich habe nichts an ihm gefunden, was den Tod verdient; ich will ihn daher züchtigen und freilassen.“
Seinen Bemühungen zum Trotz schreien die wütenden, von ihren geistlichen Führern angestachelten Volksmengen weiter: „An den Pfahl mit ihm!“ Die von den Priestern in Raserei versetzten Volksmengen wollen Blut sehen. Es ist kaum zu glauben — nur fünf Tage zuvor haben möglicherweise auch einige dieser Leute Jesus in Jerusalem als König willkommen geheißen! Währenddessen verhalten sich Jesu Jünger, sofern sie überhaupt zugegen sind, still und unauffällig.
Als Pilatus sieht, daß seine Appelle nichts nützen, sondern statt dessen einen Aufruhr heraufbeschwören, nimmt er Wasser, wäscht sich vor der Volksmenge die Hände und sagt: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Das ist eure Sache.“ Darauf erwidern die Leute: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder.“
Ihrer Forderung entsprechend — und mehr, um den Volksmengen zu gefallen, als das zu tun, was recht ist —, gibt Pilatus Barabbas frei. Er läßt Jesus abführen, entkleiden und geißeln. Das war kein normales Auspeitschen. Das Journal of the American Medical Association beschreibt die Geißelung nach Art der Römer wie folgt:
„Das übliche Instrument war eine kurze Peitsche (flagrum oder flagellum) mit mehreren einzelnen oder geflochtenen Lederriemen unterschiedlicher Länge, an denen in bestimmten Abständen kleine Eisenkugeln oder scharfkantige Schafsknochenstücke befestigt waren. ... Wenn die römischen Soldaten wiederholt mit voller Kraft auf den Rücken des Opfers schlugen, verursachten die Eisenkugeln tiefe Quetschungen, und die Lederriemen mit den Schafsknochen schnitten in die Haut und das unter der Haut liegende Gewebe ein. Im weiteren Verlauf der Auspeitschung klafften die Wunden bis in die tiefer liegenden Skelettmuskeln, und es wurden zuckende Fetzen blutenden Fleisches herausgerissen.“
Nach dieser qualvollen Auspeitschung wird Jesus in den Palast des Statthalters gebracht, und man ruft die ganze Truppeneinheit zusammen. Dort spielen ihm die Soldaten weiter übel mit, indem sie eine Krone aus Dornen flechten und ihm auf den Kopf setzen. Sie geben ihm ein Rohr in die rechte Hand und bekleiden ihn mit einem purpurnen äußeren Kleid, wie es von Königen getragen wird. Dann sagen sie spottend zu ihm: „Guten Tag, du König der Juden!“ Auch speien sie ihn an und schlagen ihn ins Gesicht. Sie nehmen ihm das massive Rohr weg und schlagen ihn damit auf den Kopf, wodurch sie die scharfen Dornen seiner entwürdigenden „Krone“ noch tiefer in seine Kopfhaut treiben.
Jesu bemerkenswerte Würde und Kraft angesichts dieser Mißhandlung beeindrucken Pilatus so sehr, daß er sich zu einem weiteren Versuch, ihn zu retten, veranlaßt fühlt. „Seht! Ich bringe ihn zu euch heraus, damit ihr erkennt, daß ich keine Schuld an ihm finde“, sagt er zu den Volksmengen. Er glaubt möglicherweise, daß der Anblick des geschundenen Jesus ihr Herz erweichen wird. Als Jesus mit der Dornenkrone, dem purpurnen äußeren Kleid sowie seinem von Schmerz gezeichneten, blutenden Gesicht vor dem herzlosen Pöbel steht, ruft Pilatus aus: „Seht! Der Mensch!“
Obwohl übel zugerichtet und mißhandelt, steht hier die herausragendste Person der gesamten Geschichte, der größte Mensch, der je lebte! Ja, Jesus offenbart eine stille Würde und eine Gelassenheit, die eine Größe verraten, die selbst Pilatus anerkennen muß, denn seine Worte sind offensichtlich eine Mischung aus Respekt und Mitleid. Johannes 18:39 bis 19:5; Matthäus 27:15-17, 20-30; Markus 15:6-19; Lukas 23:18-25.
▪ Wie bemüht sich Pilatus, Jesus freizugeben?
▪ Wie versucht Pilatus, die Verantwortung von sich zu weisen?
▪ Was bedeutet es, gegeißelt zu werden?
▪ Wie wird Jesus nach der Geißelung verspottet?
▪ Welchen weiteren Versuch unternimmt Pilatus, um Jesus freizugeben?
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Ausgeliefert und abgeführtDer größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 124
Ausgeliefert und abgeführt
ALS Pilatus, gerührt von der stillen Würde des geschundenen Jesus, erneut versucht, ihn freizulassen, geraten die Oberpriester in noch größere Wut. Sie sind entschlossen, ihre bösen Absichten auf keinen Fall durchkreuzen zu lassen. Wieder schreien sie: „An den Pfahl mit ihm! An den Pfahl mit ihm!“
„Nehmt ihn selbst, und bringt ihn an den Pfahl“, antwortet Pilatus. (Die Juden haben entgegen ihren früheren Behauptungen möglicherweise doch das Recht, Verbrecher wegen entsprechend schwerer religiöser Vergehen hinzurichten.) Dann erklärt Pilatus Jesus wohl zum fünftenmal für unschuldig, indem er sagt: „Ich finde keine Schuld an ihm.“
Die Juden nun, da sie sehen, daß ihre politischen Anklagen nichts bewirken, greifen auf die religiöse Anklage der Gotteslästerung zurück, die schon einige Stunden zuvor bei der Verhandlung gegen Jesus vor dem Sanhedrin vorgebracht worden war. „Wir haben ein Gesetz“, sagen sie, „und nach dem Gesetz muß er sterben, denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.“
Diese Anklage ist für Pilatus neu, und sie versetzt ihn in noch größere Furcht. Er erkennt jetzt, daß Jesus kein gewöhnlicher Mensch ist, was auch durch den Traum seiner Frau und durch die bemerkenswerte Stärke der Persönlichkeit Jesu bezeugt wird. Aber „Gottes Sohn“? Pilatus weiß, daß Jesus aus Galiläa stammt. Doch könnte er womöglich schon früher gelebt haben? Er nimmt ihn wieder mit in den Palast hinein und fragt ihn: „Woher bist du?“
Jesus bleibt stumm. Er hat Pilatus bereits gesagt, daß er ein König ist, sein Königreich jedoch kein Teil dieser Welt ist. Jede weitere Erklärung zum jetzigen Zeitpunkt wäre sinnlos. Aber Pilatus fühlt sich durch die Verweigerung der Antwort in seinem Stolz verletzt, und er fährt Jesus mit den Worten an: „Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, daß ich Gewalt habe, dich freizulassen, und Gewalt habe, dich an den Pfahl zu bringen?“
„Du hättest gar keine Gewalt über mich, wenn sie dir nicht von oben her gewährt worden wäre“, entgegnet Jesus respektvoll. Er bezieht sich darauf, daß Gott menschlichen Herrschern Gewalt gewährt, damit sie sich der Angelegenheiten auf der Erde annehmen. Jesus fügt hinzu: „Deshalb hat der, welcher mich dir ausgeliefert hat, größere Sünde.“ Ja, der Hohepriester Kaiphas und seine Komplizen sowie Judas Iskariot tragen alle eine größere Verantwortung für die ungerechte Behandlung Jesu als Pilatus.
Pilatus ist von Jesus nun noch mehr beeindruckt, und aus Furcht davor, daß Jesus möglicherweise göttlicher Herkunft ist, bemüht er sich nochmals, ihn freizulassen. Doch die Juden erteilen Pilatus eine schroffe Abfuhr. Sie wiederholen ihre politischen Anklagen und drohen hinterlistig: „Wenn du diesen Mann freiläßt, bist du kein Freund Cäsars. Jeder, der sich selbst zu einem König macht, redet gegen Cäsar.“
Trotz der unheilverkündenden Andeutungen bringt Pilatus Jesus ein weiteres Mal hinaus. „Seht! Euer König!“ ruft er aus.
„Weg mit ihm! Weg mit ihm! An den Pfahl mit ihm!“
„Soll ich euren König an den Pfahl bringen?“ fragt Pilatus verzweifelt.
Die Juden ärgern sich sehr über die Herrschaft der Römer. Ja, sie verachten die Herrschaft Roms. Doch heuchlerisch sagen die Oberpriester: „Wir haben keinen König außer Cäsar.“
Da Pilatus um seine politische Stellung und seinen Ruf fürchtet, gibt er schließlich den unerbittlichen Forderungen der Juden nach. Er liefert ihnen Jesus aus. Die Soldaten ziehen ihm den purpurnen Mantel aus und bekleiden ihn mit seinem äußeren Gewand. Als Jesus abgeführt wird, um an den Pfahl gebracht zu werden, zwingt man ihn, seinen eigenen Marterpfahl zu tragen.
An diesem Freitag, dem 14. Nisan, ist es inzwischen später Vormittag geworden; möglicherweise ist bald Mittag. Jesus ist seit dem frühen Donnerstagmorgen auf den Beinen, und er hat eine Quälerei nach der anderen durchgemacht. Verständlicherweise verlassen ihn unter dem Gewicht des Pfahls bald die Kräfte. Daher wird ein Passant, ein gewisser Simon von Kyrene (Afrika), gezwungen, den Pfahl für ihn zu tragen. Während sie weitergehen, folgen ihnen viele Menschen, darunter Frauen, die sich vor Leid schlagen und um Jesus wehklagen.
Jesus wendet sich den Frauen zu und sagt: „Töchter Jerusalems, hört auf, über mich zu weinen. Weint im Gegenteil über euch und über eure Kinder; denn siehe, Tage kommen, an denen man sagen wird: ‚Glücklich sind die unfruchtbaren Frauen und die Schöße, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht genährt haben!‘ ... Denn wenn man diese Dinge tut, während der Baum saftig ist, was wird geschehen, wenn er verdorrt ist?“
Jesus bezieht sich auf die jüdische Nation als einen Baum, der noch einen gewissen Lebenssaft in sich hat, weil Jesus gegenwärtig ist und weil ein Überrest an ihn glaubt. Aber wenn jene aus der Nation herausgenommen sein werden, wird nur ein geistig toter Baum zurückbleiben, ja eine verdorrte nationale Organisation. O welch einen Grund zum Weinen wird es geben, wenn die römischen Heere als Gottes Urteilsvollstrecker die jüdische Nation verwüsten werden! Johannes 19:6-17; 18:31; Lukas 23:24-31; Matthäus 27:31, 32; Markus 15:20, 21.
▪ Welche Anklage erheben die geistlichen Führer gegen Jesus, als ihre politischen Anklagen nichts bewirken?
▪ Warum gerät Pilatus in noch größere Furcht?
▪ Wer hat die größere Sünde in bezug auf das, was Jesus widerfährt?
▪ Wie veranlassen die Priester Pilatus, ihnen Jesus auszuliefern, um ihn hinzurichten?
▪ Was sagt Jesus zu den Frauen, die über ihn weinen, und was meint er damit, daß der Baum zunächst „saftig“ und dann „verdorrt“ ist?
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Qualen am PfahlDer größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 125
Qualen am Pfahl
ZUSAMMEN mit Jesus werden zwei Räuber zur Hinrichtung abgeführt. Nicht weit außerhalb der Stadt erreicht der Zug die Stätte, die Golgotha oder Schädelstätte genannt wird.
Die Gefangenen werden entkleidet. Dann gibt man ihnen mit Myrrhe gewürzten Wein. Dieser ist offenbar von den Frauen Jerusalems zubereitet worden, und die Römer verwehren den zur Hinrichtung Bestimmten das schmerzbetäubende Getränk nicht. Als Jesus ihn probiert, lehnt er es jedoch ab, davon zu trinken. Warum? Offensichtlich möchte er in seiner schwersten Glaubensprüfung im Vollbesitz seiner Geisteskräfte sein.
Die Hände über dem Kopf, wird Jesus nun auf den Pfahl gelegt. Die Soldaten schlagen dann lange Nägel durch seine Hände und Füße. Jesus windet sich vor Schmerzen, als die Nägel durch Fleisch und Sehnen dringen. Unerträglich sind die Schmerzen beim Aufrichten des Pfahls, weil das Gewicht des Körpers an den Nagelwunden zerrt. Doch statt zu drohen, betet Jesus für die römischen Soldaten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Pilatus hat an Jesu Pfahl ein Schild anbringen lassen mit der Inschrift: „Jesus, der Nazarener, der König der Juden“. Das hat er offensichtlich nicht nur aus Respekt vor Jesus geschrieben, sondern auch aus Abscheu vor den jüdischen Priestern, die ihm Jesu Todesurteil abgerungen haben. Damit alle das Schild lesen können, hat Pilatus es in drei Sprachen verfaßt — in Hebräisch, im offiziellen Latein und in der griechischen Gemeinsprache.
Die Oberpriester, Kaiphas und Annas eingeschlossen, sind entsetzt. Diese positive Proklamation verdirbt ihnen die Stunde des Triumphs. Daher protestieren sie: „Schreibe nicht: ‚Der König der Juden‘, sondern daß er gesagt hat: ‚Ich bin König der Juden.‘ “ Verärgert darüber, daß er von den Priestern für deren Zwecke mißbraucht worden ist, antwortet Pilatus mit abgrundtiefer Verachtung: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“
Die Priester versammeln sich nun mit einer großen Volksmenge an der Hinrichtungsstätte, und sie versuchen, das Zeugnis des Schildes zu bestreiten. Sie wiederholen das falsche Zeugnis, das bereits in den Verhandlungen vor dem Sanhedrin vorgebracht wurde. Es überrascht demnach nicht, daß Passanten lästerlich zu reden beginnen, spöttisch den Kopf schütteln und sagen: „Oh, der du den Tempel niederreißen und ihn in drei Tagen aufbauen wolltest, rette dich selbst! Wenn du ein Sohn Gottes bist, so steige vom Marterpfahl herab!“
„Andere hat er gerettet; sich selbst kann er nicht retten!“ pflichten die Oberpriester und ihre geistlichen Kumpane bei. „Er ist König von Israel; er steige nun vom Marterpfahl herab, und wir wollen an ihn glauben. Er hat auf Gott vertraut; ER befreie ihn nun, wenn ER ihn haben will, denn er sagte: ‚Ich bin Gottes Sohn.‘ “
Die Soldaten lassen sich von diesem Geist anstecken und machen sich ebenfalls über Jesus lustig. Höhnisch bieten sie ihm sauren Wein an, den sie ihm aber offensichtlich nur vor die ausgetrockneten Lippen halten. „Wenn du der König der Juden bist“, spotten sie, „rette dich selbst.“ Sogar die beiden Räuber, die zur Rechten und zur Linken Jesu an den Pfahl gebracht wurden, verhöhnen ihn. Man stelle sich das einmal vor! Der größte Mensch, der je lebte, ja derjenige, der gemeinsam mit Jehova Gott alle Dinge erschaffen hat, erträgt entschlossen alle diese Beleidigungen!
Die Soldaten nehmen die äußeren Kleider Jesu und machen daraus vier Teile. Sie werfen Lose, um zu entscheiden, wer welches Teil erhält. Das innere Gewand ist jedoch ohne Naht, also von höchster Qualität. Daher sagen die Soldaten zueinander: „Laßt es uns nicht zerreißen, sondern laßt uns durch das Los darüber bestimmen, wem es gehören soll.“ Unwissentlich erfüllen sie dadurch das Schriftwort: „Sie verteilten meine äußeren Kleider unter sich, und über mein Gewand warfen sie Lose.“
Nach einiger Zeit wird einem der Räuber bewußt, daß Jesus tatsächlich ein König sein muß. Er tadelt deshalb seinen Gefährten mit den Worten: „Fürchtest du Gott denn gar nicht, jetzt, da du im gleichen Gericht bist? Und wir allerdings gerechterweise, denn wir empfangen völlig das, was wir für unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Ungehöriges getan.“ Dann wendet er sich an Jesus mit der Bitte: „Gedenke meiner, wenn du in dein Königreich kommst.“
„Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein“, antwortet Jesus. Diese Verheißung wird sich erfüllen, wenn Jesus im Himmel als König regiert und den reumütigen Übeltäter zum Leben auf der Erde im Paradies auferweckt — das Paradies, das zu bebauen die Überlebenden von Harmagedon und ihre Gefährten bevorrechtet sein werden. Matthäus 27:33-44; Markus 15:22-32; Lukas 23:27, 32-43; Johannes 19:17-24.
▪ Warum weigert sich Jesus, den mit Myrrhe gewürzten Wein zu trinken?
▪ Wahrscheinlich aus welchem Grund wird ein Schild an Jesu Pfahl angebracht, und welchen Wortwechsel zwischen Pilatus und den Oberpriestern verursacht es?
▪ Welche weiteren Beleidigungen muß Jesus am Pfahl über sich ergehen lassen, und wodurch werden sie offensichtlich ausgelöst?
▪ Inwiefern wird durch das, was mit den Kleidern Jesu geschieht, eine Prophezeiung erfüllt?
▪ Welche Veränderung geht in einem der Räuber vor sich, und wie wird Jesus dessen Bitte erfüllen?
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„Bestimmt war dieser Gottes Sohn“Der größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 126
„Bestimmt war dieser Gottes Sohn“
JESUS hängt noch nicht lange am Pfahl, als gegen Mittag eine unerklärliche, drei Stunden dauernde Dunkelheit eintritt. Eine Sonnenfinsternis kann es nicht sein, da eine solche nur bei Neumond möglich ist. Aber zur Passahzeit ist Vollmond. Sonnenfinsternisse dauern außerdem nur wenige Minuten. Diese Finsternis ist somit göttlichen Ursprungs. Möglicherweise bringt sie diejenigen, die Jesus verhöhnen, zum Nachdenken und macht ihrem Spott ein Ende.
Falls das unheimliche Geschehnis eingetreten ist, bevor einer der Übeltäter seinen Genossen scharf zurechtwies und Jesus bat, seiner zu gedenken, könnten die Vorgänge zu seiner Reue beigetragen haben. Dem Marterpfahl nähern sich — vielleicht während der Finsternis — vier Frauen, nämlich Jesu Mutter und ihre Schwester Salome, Maria Magdalene sowie Maria, die Mutter des Apostels Jakobus des Geringeren. Johannes, der geliebte Apostel Jesu, ist bei ihnen.
Wie das Herz der Mutter Jesu gleichsam ‘von einem Schwert durchdrungen’ wird, als sie den Sohn, den sie genährt und aufgezogen hat, von Qualen gepeinigt dort hängen sieht! Doch Jesus denkt weniger an seine Schmerzen als an ihr Wohl. Unter großen Anstrengungen deutet er mit dem Kopf auf Johannes und sagt zu seiner Mutter: „Frau, siehe, dein Sohn!“ Und dann, auf Maria deutend, zu Johannes: „Siehe, deine Mutter!“
Auf diese Weise beauftragt Jesus den Apostel, den er besonders liebt, sich um seine Mutter zu kümmern, die mittlerweile offenbar verwitwet ist. Er tut dies, weil die anderen Söhne Marias bis jetzt noch nicht an ihn glauben. Wirklich ein vorzügliches Beispiel, da er nicht nur für die physischen, sondern auch für die geistigen Bedürfnisse seiner Mutter sorgt.
Gegen drei Uhr nachmittags sagt Jesus: „Mich dürstet.“ Jesus spürt, daß sein Vater sozusagen seinen Schutz von ihm zurückgezogen hat, damit seine Lauterkeit bis zum Äußersten geprüft werden kann. Daher ruft er mit lauter Stimme aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Einige der Dabeistehenden sagen daraufhin: „Seht! Er ruft den Elia.“ Sofort läuft einer von ihnen hin, steckt einen in sauren Wein getauchten Schwamm an einen Ysopstengel und gibt ihm zu trinken. Andere sagen jedoch: „Laßt ihn! Wir wollen sehen, ob Elia kommt, um ihn herabzunehmen.“
Nachdem Jesus den sauren Wein empfangen hat, ruft er aus: „Es ist vollbracht!“ Ja, er hat alles ausgeführt, wozu ihn sein Vater auf die Erde gesandt hat. Seine letzten Worte sind: „Vater, deinen Händen vertraue ich meinen Geist an.“ Jesus übergibt Gott damit seine Lebenskraft in dem Vertrauen, daß dieser sie ihm wiedergeben wird. Dann neigt er seinen Kopf und stirbt.
Als Jesus seinen letzten Atemzug tut, ereignet sich ein schweres Erdbeben, das die Felsen spaltet. Das Erdbeben ist so stark, daß die außerhalb Jerusalems liegenden Gedächtnisgrüfte aufgebrochen und die Leichname herausgeschleudert werden. Vorbeigehende, die die freigelegten Toten sehen, gehen in die Stadt und berichten davon.
Außerdem wird in dem Augenblick, wo Jesus stirbt, der Vorhang, der in Gottes Tempel das Heilige vom Allerheiligsten trennt, von oben bis unten entzweigerissen. Dieser schön bestickte Vorhang soll 18 Meter lang und sehr schwer gewesen sein. Das erstaunliche Wunder offenbart nicht nur Gottes Zorn über die Mörder seines Sohnes, sondern zeigt auch, daß durch Jesu Tod jetzt der Eingang in das Allerheiligste, den Himmel selbst, möglich geworden ist.
Als die Menschen das Erdbeben spüren und Zeugen der Geschehnisse werden, geraten sie in große Furcht. Der für die Hinrichtung zuständige Offizier gibt Gott die Ehre. „Bestimmt war dieser Gottes Sohn“, verkündet er. Wahrscheinlich war er zugegen, als bei der Verhandlung vor Pilatus die Frage, ob Jesus Gottes Sohn sei, zur Sprache kam. Und nun ist er überzeugt, daß Jesus der Sohn Gottes war, ja tatsächlich der größte Mensch, der je lebte.
Auch andere sind von den außergewöhnlichen Ereignissen überwältigt, und als sie sich auf den Heimweg machen, schlagen sie sich an die Brust als Zeichen dafür, daß sie zutiefst betrübt und beschämt sind. Viele Frauen, die Jünger Jesu sind, beobachten das Geschehen aus einiger Entfernung, und sie sind tief bewegt von diesen bedeutsamen Ereignissen. Der Apostel Johannes ist ebenfalls dort. Matthäus 27:45-56; Markus 15:33-41; Lukas 23:44-49; 2:34, 35; Johannes 19:25-30.
▪ Warum kann die dreistündige Dunkelheit nicht durch eine Sonnenfinsternis hervorgerufen worden sein?
▪ Welches vortreffliche Beispiel gibt Jesus kurz vor seinem Tod denjenigen, die betagte Eltern haben?
▪ Wie lauten die letzten vier Äußerungen Jesu, bevor er stirbt?
▪ Was bewirkt das Erdbeben, und was bedeutet es, daß der Vorhang des Tempels entzweigerissen wird?
▪ Wozu fühlt sich der für die Hinrichtung zuständige Offizier durch die Wunder bewogen?
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Am Freitag bestattet — am Sonntag ein leeres GrabDer größte Mensch, der je lebte
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Kapitel 127
Am Freitag bestattet — am Sonntag ein leeres Grab
AN DIESEM Freitag ist es inzwischen später Nachmittag geworden, und der bei Sonnenuntergang beginnende 15. Nisan ist ein Sabbat. Jesu Leichnam hängt schlaff am Pfahl; die beiden Räuber neben ihm leben dagegen noch. Der Freitag wird Vorbereitungstag genannt, da man dann die Mahlzeiten vorbereitet und andere dringende Arbeiten erledigt, die nicht bis nach dem Sabbat verschoben werden können.
Der bald beginnende Sabbat ist kein gewöhnlicher Sabbat (der siebte Tag der Woche), sondern ein doppelter oder „großer“ Sabbat. Er wird so genannt, weil der 15. Nisan, der erste Tag des siebentägigen Festes der ungesäuerten Brote (und dieser ist immer ein Sabbat, ungeachtet auf welchen Wochentag er fällt), auf denselben Tag fällt wie der reguläre Sabbat.
Gemäß Gottes Gesetz dürfen Leiber nicht über Nacht am Pfahl hängen gelassen werden. Deshalb bitten die Juden Pilatus, den Tod der Delinquenten dadurch zu beschleunigen, daß man ihnen die Beine bricht. Die Soldaten tun dies daher bei den beiden Räubern. Da Jesus offensichtlich schon tot ist, werden ihm die Beine nicht gebrochen. So erfüllt sich das Schriftwort: „Kein Knochen von ihm wird zermalmt werden.“
Um allerdings jeden Zweifel auszuräumen, daß Jesus wirklich tot ist, stößt ihm einer der Soldaten einen Speer in die Seite. Der Speer dringt bis in die Herzgegend ein, und sofort kommt Blut und Wasser heraus. Der Apostel Johannes, der Augenzeuge davon ist, berichtet, daß sich dadurch eine weitere Schriftstelle erfüllt: „Sie werden auf DEN schauen, den sie durchstochen haben.“
Die Hinrichtung beobachtet auch Joseph aus der Stadt Arimathia, ein geachtetes Mitglied des Sanhedrins. Er hatte dem ungerechten Vorgehen des obersten Gerichts gegen Jesus nicht zugestimmt. Joseph ist tatsächlich ein Jünger Jesu, obwohl er sich aus Furcht bisher noch nicht als solcher zu erkennen gegeben hat. Jetzt faßt er jedoch Mut, geht zu Pilatus und bittet ihn um den Leib Jesu. Pilatus läßt den verantwortlichen Offizier rufen, und nachdem dieser bestätigt hat, daß Jesus tot ist, überläßt Pilatus Joseph den Leib.
Joseph nimmt den Leichnam und wickelt ihn zur Vorbereitung auf das Begräbnis in reine, feine Leinwand. Nikodemus, ein anderes Mitglied des Sanhedrins, hilft ihm dabei. Auch Nikodemus hat bisher noch nicht bekannt, daß er an Jesus glaubt, weil er befürchtete, seine Stellung zu verlieren. Doch nun bringt er eine Rolle, die etwa hundert römische Pfund (33 kg) Myrrhe und kostbare Aloe enthält. Jesu Leib wird mit Binden, zwischen die diese Gewürze gelegt werden, gebunden, so wie es bei den Juden Sitte ist, einen Leichnam für das Begräbnis vorzubereiten.
Der Leib wird dann in Josephs neue Gedächtnisgruft gelegt, die in einem nahen Garten in den Fels gehauen war. Vor das Grab rollt man schließlich einen großen Stein. Um das Begräbnis vor Beginn des Sabbats zu vollenden, erfolgt die Vorbereitung des Leichnams in großer Hast. Daher eilen Maria Magdalene und Maria, die Mutter des Jakobus des Geringeren, die möglicherweise bei der Vorbereitung geholfen haben, nach Hause, um weitere Gewürze und wohlriechende Öle zu bereiten. Nach dem Sabbat wollen sie Jesu Leib weiter behandeln, damit dieser länger erhalten bleibt.
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