Du mußt dein Klavier auch pflegen
DAS Klavier ist ein wunderbares Instrument. Doch häufig betrachten wir es als etwas Selbstverständliches. Wir spielen darauf. Es begleitet unseren Gesang. Wir erwarten, daß es in großen Orchestern dabei ist. Ein Klavierkonzert kann uns so begeistern, daß wir einen ganzen Abend lang keine andere Unterhaltung brauchen.
Aber den meisten von uns ist das Klavier nicht von großen Konzertsälen, sondern vom eigenen Wohnzimmer her vertraut. Dieses Instrument wird allein in den Vereinigten Staaten von mehr als 21 000 000 Personen gespielt, und jedes Jahr werden über 200 000 Klaviere hergestellt.
Falls du selbst ein Klavier besitzt, hat die Anschaffung eine größere Investition erfordert. Nach deinem Haus und deinem Auto könnte es die größte Investition gewesen sein, die du vorgenommen hast. Daher würde es sich lohnen, mehr über dein Klavier und seine Pflege zu erfahren.
Dein Klavier — ein Meisterwerk
Das Klavier — Saiten- und Schlaginstrument zugleich — ist eine Klasse für sich. Die von den Saiten erzeugten Klänge enthalten Disharmonien, denn physikalisch gesehen harmonieren die Obertöne eines Klanges nicht mit seinem Grundton. Strenggenommen erzeugt eine Klaviersaite keinen einheitlichen Ton, sondern Teiltöne, die nicht genau in Harmonie mit dem Grundton sind. Dieser Umstand verleiht dem Klavier seine einzigartige Klangfarbe.
Ein moderner Flügel hat etwa 240 Drähte, die sogenannten Saitena. Ganz links befinden sich lange dicke Saiten, die mit Kupferdraht umsponnen sind, damit sie schwer genug sind, um die tiefsten Töne hervorzubringen; der tiefste Ton ist das A2 mit 27 1⁄2 Schwingungen pro Sekunde. Die Töne links von der Mitte werden von je zwei kupferumsponnenen Saiten und die mittleren sowie die höheren Töne von drei nicht umsponnenen Saiten erzeugt. Der höchste Ton, das c5, hat 4 186 Schwingungen pro Sekunde. Der Zug, dem die einzelnen Saiten standhalten müssen, ist so enorm, daß man mit der gesamten in einem Flügel vorherrschenden Zugkraft einen 20-Tonnen-Lkw von der Straße heben könnte.
Dein Klavier hat etwa 9 000 bewegliche Teile — etliche mehr als ein Auto. Sobald du eine der 88 Tasten anschlägst, setzt du eine erstaunliche Kette von Bewegungsabläufen in Gang. Von der betreffenden Saite oder Saitengruppe wird ein Dämpfer abgehoben, damit sie frei schwingen kann. Über ein Hebeglied und eine Stoßzunge wird ein mit Filz belegter hölzerner Hammer angehoben, der die Saite so schnell anschlägt, daß das Auge nicht folgen kann. Die Schwingung der Saite allein erzeugt einen Ton, der nicht lauter als ein Flüstern ist. Dieses „Flüstern“ wird durch einen hölzernen Resonanzboden zu einem großartigen, manchmal atemberaubenden Klang verstärkt, der einen Konzertsaal füllen kann.
Braucht ein solches Instrument, das aus verhältnismäßig empfindlichen Materialien wie Holz und Filz besteht, eine gute Pflege und eine sorgsame Behandlung? Obwohl viele Klavierbesitzer es nicht wahrhaben wollen, lautet die offensichtliche Antwort ja. Doch es ist überraschend, daß das Klavier nicht häufig, sondern bei entsprechender Behandlung nur selten ganz besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Äußerste Vorsicht am Platz
Der gewaltige Zug der Saiten wird von einem massiven, sorgfältig konstruierten gußeisernen Rahmen aufgenommen. Dieses Gebilde ist mit vielen Schraubenbolzen an einem gleichfalls stabilen Holzgestell befestigt, das dem tragenden Balkengefüge eines Holzhauses ähnelt. Nun ein Wort zur Vorsicht: Würde sich der Rahmen, der sozusagen das Gewicht eines Lkw aushalten muß, von dem Balkengefüge lösen und brechen, dann würde ein explosionsartiger „Katapulteffekt“ entstehen, der wuchtig genug wäre, um Teile des Rahmens und des Klaviers durch ein Hausdach zu schleudern. Solche „Explosionen“ hat es tatsächlich schon gegeben, wenn das Klavier von einem Neuling mißhandelt wurde oder einen Herstellungsfehler in sich barg. Ein Anfänger, der ein Klavier zerlegt, gleicht jemand, der eine Zeitbombe zerlegt. An jeder Saite könnte der Befestigungsstift wie ein Geschoß losgehen, oder der Rahmen könnte wie ein Schrapnell auseinanderfliegen. Erfahrene Klavierbauer tragen vorsichtshalber eine Schutzbrille oder möglichst eine Schutzmaske, wenn sie ein Klavier neu besaiten.
Steht dein Klavier auf sicheren Füßen? Ein Kind, das unter oder neben einem Flügel spielt, könnte unter ihm begraben werden, wenn er zusammenbricht. Dergleichen ist schon vorgekommen, weil sich durch unsachgemäße Behandlung beim Verschieben des Klaviers oder bei einem Umzug ein Bein gelockert hatte. Werden bei einem Umzug die Treppen dem Gewicht des Klaviers standhalten? Ist der Boden am Standort des Klaviers stabil genug? Durch deine Vorsichtsmaßnahmen können schwere Verletzungen vermieden werden.
So kannst du es pflegen
Für dein Auto und für viele Haushaltsgeräte hast du eine Gebrauchsanweisung, sicher auch für dein Klavier. Allerdings geht die Gebrauchsanweisung häufig verloren oder wird nicht einmal mitgeliefert, und somit bekommt man sie gar nicht zu Gesicht. Der Hersteller deines Klaviers gehört zu den Leuten, die über die Pflege am besten Bescheid wissen. Dadurch, daß sich Vertreter der Hersteller mit Händlern und Klavierstimmern bei Tagungen, Seminaren und Kursen treffen, findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch mit dem Pflegepersonal statt. Sollte dir jedoch der Nutzen dieses Erfahrungsschatzes nicht zugänglich sein und solltest du für dein Klavier keine Gebrauchsanweisung haben, dann wende dich doch an einen Klavierstimmer, an ein Musikgeschäft oder an den Hersteller.
Wenn es soweit ist, daß dein Klavier gestimmt werden muß, oder wenn andere Arbeiten anfallen, solltest du dich an jemand wenden, der sich wirklich auf diese Sache versteht. Wurde er in seinem Fach gut ausgebildet und hält er sich selbst auf dem laufenden, dann wird das dir zugute kommen.
Ein altes Klavier hat seine ganz eigenen Probleme; ein neues ebenfalls. Jede neue Saite ist rasch verstimmt, da sich ihrer Länge nach Molekülverschiebungen ergeben und da sich ihre Befestigungselemente erst setzen müssen. Es ist also ratsam, ein neues Klavier im ersten Jahr viermal stimmen zu lassen. Während dieser Zeit findet ein rascher Setzungsprozeß statt — ein neues Haus muß sich ja auch erst setzen. Nach dem ersten Jahr sollte es so oft wie nötig gestimmt werden. Die Hersteller empfehlen, es mindestens zweimal im Jahr stimmen zu lassen.
Zwischen dem Stimmen und dem Regulieren eines Klaviers besteht ein Unterschied. Beim Stimmen wird nur die Spannung der Saiten (insgesamt gibt es etwa 240) nachgestellt, wogegen beim Regulieren die meisten der fast 9 000 beweglichen Teile des Klaviers in ihrer Toleranz und zeitlichen Abstimmung nachgestellt werden. Das Regulieren kann nur eine kleine oder gar keine Ausgabe erfordern, oder es kann ein größeres Unterfangen sein, das ein bis drei Tage Arbeit und hohe Ausgaben erfordert.
Versuche, wenn der Klavierstimmer kommt aus deiner Geldausgabe den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Achte darauf, daß er sich während der ganzen Zeit auf seine eigentliche Arbeit konzentrieren kann. Räume vorher alle Gegenstände vom Klavier. Halte alle Nebengeräusche fern. Der Klavierstimmer hört nicht nur die Töne, die du hörst, sondern auch extrem leise Schwingungen zwischen den Tönen. Es muß also im ganzen Raum so still sein, daß man eine Stecknadel fallen hören kann. Geräusche von einem Staubsauger, einer Geschirrspül- oder Waschmaschine, von laufendem Wasser oder anderen Geräuschquellen in Haus und Hof sollten vermieden werden. Selbst wenn man leise durch den Raum geht, kann — für die Ohren des Stimmers wahrnehmbar — ein „Dopplereffekt“ entstehen, so daß er die „Schläge“ nicht mehr eindeutig heraushören kann. Beim Besuch des Klavierstimmers ist also „Ruhe“ das oberste Gebot. Wahrscheinlich wirst du dann für dein Geld mehr bekommen.
Zwar werden die unzähligen Filzteile deines Klaviers bereits vom Hersteller gegen Motten geschützt, doch der Klavierstimmer sollte bei jedem Besuch darauf achten, daß diese Tierchen keine Chance haben. Die Tastatur kannst du unbedeckt lassen, und wenn du möchtest, kannst du bei einem Flügel den Deckel hochgestellt lassen, aber auf keinen Fall dann, wenn du in der Nähe mit dem Staubsauger arbeitest oder wenn sich ein starker Küchenduft verbreitet. In solchen Fällen macht man das Klavier besser zu.
Feuchtigkeit und die „Spannungen“ deines Klaviers
Es gibt zwei Hauptfaktoren, die bestimmen, wie oft dein Klavier Aufmerksamkeit benötigt: zuerst und vor allem die atmosphärischen Veränderungen, besonders Feuchtigkeitsveränderungen — die Betonung liegt auf dem Wort Veränderungen; zweitens, und überraschenderweise weniger entscheidend, die Häufigkeit des Gebrauchs. Wir wollen jetzt einige Faktoren untersuchen und überlegen, wie du dir etwas Geld sparen kannst.
Dein Klavier verstimmt hauptsächlich deshalb, weil durch Feuchtigkeitsveränderungen Spannungen im Material auftreten, die Verschiebungen verursachen. Es ergibt sich eine Mißstimmung, ähnlich wie bei bestimmten Veränderungen der Witterung oder der Luftfeuchtigkeit eine Mißstimmung in deinem Körper entstehen kann. Du weißt, wie schnell ein Wettersturz Schmerzen im Ellbogen, im Rücken, im Knie oder an anderen anfälligen Stellen verursachen kann. Mit dem Klavier verhält es sich ebenso. Es hat bestimmte anfällige Stellen — unbeständige Bereiche. Ja, bei einer Feuchtigkeitsveränderung verstimmt nicht das gesamte Klavier gleichmäßig. Ganz im Gegenteil, nur bestimmte Teile verziehen sich stark, während andere Teile unverändert bleiben. Zu den beständigen Bereichen gehören die längeren, schwereren Saiten. Zu den unbeständigen Bereichen gehören die kürzeren, leichteren Saiten. Die unbeständigen Bereiche entspannen sich, wenn die Luftfeuchtigkeit abnimmt, und straffen sich, wenn sie zunimmt.
Diese witterungsbedingte Verschiebung der Stimmung ist am auffälligsten beim Übergang von den Baß- zu den Tenorsaiten, denn die Saiten der höheren Baßtöne sind ziemlich beständig, wogegen sich die Saiten der tieferen Tenortöne drastisch verändern. Außerdem verändern sich in diesem unbeständigen Bereich die drei Saiten des Chors (Saitengruppe) einer Note nicht gleichmäßig; vielmehr verändert sich die kürzeste am meisten, die mittlere weniger und die längste am wenigsten. Somit verschieben sich also nicht nur die Tonabstände, sondern auch die einzelnen Saiten einer Note.
Nun ein Wort zur Vorsicht: Läßt man das Klavier bei extremer Trockenheit oder Feuchtigkeit stimmen, so ist ihm damit höchstens einige Wochen gedient. Du mußt in deiner Wohnung die Luftfeuchtigkeit regulieren. Achte zuerst darauf, wohin du dein Klavier stellst — weit weg von jeglicher Wärmequelle und auf jeden Fall nicht direkt ins Sonnenlicht. Die dadurch hervorgerufene Trockenheit könnte es innerhalb von Minuten verstimmen. Halte es auch von den Lüftungsschlitzen einer Klimaanlage fern. Übermäßige Feuchtigkeit kann Rost, Trägheit in der Mechanik und Risse im Gehäuse zur Folge haben. Vielleicht möchtest du dir daher ein elektrisches Be- und Entlüftungsgerät anschaffen. Es läßt sich, wie ein Experte sagte, „nicht mit Gold aufwiegen“.
Wenn du den Feuchtigkeitsgehalt unter Kontrolle hast, kannst du dein Klavier stimmen lassen. Ein Klavier, das in einem feuchtigkeitsüberwachten Raum steht, hält selbst bei jährlich einmaligem Stimmen seine Stimmung besser als ein Klavier, das im Jahr viermal oder öfter gestimmt wird, aber unüberwachter Feuchtigkeit ausgesetzt ist.
Erst genau ansehen, dann kaufen
Bevor man große Anschaffungen macht, sucht man am besten den Beistand eines fachkundigen Beraters. Wenn du den Kauf eines Klaviers erwägst, solltest du dich nicht scheuen, einen Klavierbauer zu Rate zu ziehen, und zwar zu einem Honorar, das dem Preis für das Klavierstimmen entspricht. Eine Untersuchung der Angebote kann dich vor dem Kummer bewahren, ein Klavier gekauft zu haben, das ein hervorragendes Aussehen und sogar einen hervorragenden Klang, aber einen verborgenen Mangel hat, der eine kostspielige Reparatur oder Überholung erfordern oder dein Klavier wertlos machen würde. Dein Berater kann die Kosten irgendwelcher Arbeiten abschätzen, die nötig wären — Reparaturen, die natürlich den Kaufpreis beeinflussen würden.
Frage dich daher: Kann ich mir die Anfangsinvestition leisten? Kann ich die Kosten für die Pflege tragen? Untersuche die Sache, bevor du investierst. Wenn du dann ein eigenes Klavier besitzt, mußt du es auch gut pflegen.
[Fußnote]
a Eigentlich unterscheidet man zwei Arten von Klavieren: Flügel und Piano.