Jehova hat unseren Weg geebnet
IM Jahr 1924 wurde ich in Cham im Schweizer Kanton Zug geboren. Meine Eltern hatten dreizehn Kinder — zehn Jungen und drei Mädchen. Ich war der Erstgeborene. Zwei Jungen starben, als sie noch ganz klein waren. Wir übrigen wuchsen in der Zeit der Wirtschaftskrise auf einem Bauernhof auf und wurden streng katholisch erzogen.
Unser Vater war ein ehrlicher, gutmütiger Mann, aber er wurde leicht wütend. Es kam sogar vor, daß er Mutter schlug, wenn sie ihm aus Eifersucht unberechtigte Vorwürfe machte. Sie konnte es nicht ertragen, daß er mit den Nachbarsfrauen plauderte, obwohl sie keinen Grund hatte, an seiner Treue zu zweifeln. Das bedrückte mich sehr.
Mutter war sehr abergläubisch. Sie sah hinter allem eine Kundgebung der „armen Seelen im Fegefeuer“. Diese Leichtgläubigkeit war mir zuwider. Die Geistlichen jedoch nährten ihre abergläubischen Vorstellungen mit Lesestoff, der sie in ihren verkehrten Glaubensansichten bestärkte.
Fragen kommen auf
Von Kindheit an gingen mir Fragen über Gott und das endgültige Schicksal des Menschen durch den Sinn. Ich versuchte, logische Schlußfolgerungen zu ziehen, stieß aber auf viele Widersprüche. Ich las katholische Veröffentlichungen über Heilige, Wunder und dergleichen. Doch sie befriedigten meinen Verstand nicht. Mir war, als ob ich im dunkeln tappte.
Der Priester ermahnte mich, nicht über meine Fragen zu grübeln. Alles wissen zu wollen sei ein Zeichen von Stolz, und den Hochmütigen widerstehe Gott. Besonders stieß mich die Lehre ab, Gott würde jeden, der mit einer ungebeichteten Todsünde sterben würde, ewig in einer Feuerhölle quälen. Da das bedeutete, daß die meisten Menschen für immer Qualen erleiden müßten, fragte ich mich oft: „Wie läßt sich das mit Gottes Liebe vereinbaren?“
Ich zog auch den katholischen Brauch der Beichte in Frage. Mir wurde angst, als man uns im katholischen Religionsunterricht sagte, unkeusche Gedanken seien eine schwere Sünde und müßten einem Pfarrer gebeichtet werden. Ich fragte mich: „Habe ich an alles gedacht, was ich beichten muß? Oder habe ich etwas vergessen, so daß meine Beichte ungültig ist und meine Sünden nicht vergeben sind?“ So kamen Zweifel über Gottes Barmherzigkeit und seine Bereitschaft zu vergeben in mir auf.
Etwa drei bis vier Jahre lang kämpfte ich gegen niederdrückende, zermürbende Gedanken an. Ich wollte schon den Glauben an Gott über Bord werfen. Aber dann dachte ich mir: „Wenn ich ausharre, werde ich sicherlich den richtigen Weg finden.“ Mit der Zeit gelangte ich zu der Überzeugung, daß Gott existiert, aber was meine Glaubensansichten anging, plagte mich immer noch die Ungewißheit.
Auf Grund dessen, was man mich als Kind gelehrt hatte, glaubte ich, daß Jesus Christus die katholische Kirche im Sinn hatte, als er zum Apostel Petrus sagte: „Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Matthäus 16:18, Einheitsübersetzung). Ich folgerte, zuletzt würde das Gute in der Kirche siegen, und für dieses Ziel war ich bereit, mit der Kirche zusammenzuarbeiten.
Ehe und Familie
Als ältester Sohn der Familie arbeitete ich mit meinem Vater auf dem Hof, bis der nächste Bruder an meine Stelle treten konnte. Darauf besuchte ich eine katholische Landwirtschaftsschule und legte später die Meisterprüfung ab. Danach sah ich mich nach einer Ehepartnerin um.
Durch eine meiner Schwestern lernte ich Maria kennen. Ich erfuhr, daß sie um einen Mann gebetet hatte, mit dem sie zusammen das ewige Leben erlangen könnte. So war auf unserer Vermählungskarte zu lesen: „Wir suchen in Liebe vereint das Glück. Wir richten vertrauend auf Gott den Blick. Unser Weg ist das Leben, unser Ziel die ewige Seligkeit.“ Wir heirateten am 26. Juni 1958 im Kloster Fahr bei Zürich.
Maria und ich stammten aus ähnlichen Verhältnissen. Sie wuchs als ältestes von sieben Kindern in einer tiefreligiösen Familie auf. Alle waren mit Arbeiten auf dem Hof, mit Schulaufgaben und dem Kirchenbesuch beschäftigt, so daß kaum Zeit zum Spielen blieb. Die ersten Ehejahre waren nicht leicht. Wegen meiner vielen Fragen in Glaubensdingen zweifelte sie oft, ob sie den richtigen Mann geheiratet hatte. Sie machte sich keine Gedanken über die Lehren der Kirche oder deren unterstützende Rolle bei den Kriegen, den Kreuzzügen und der Inquisition. Doch wir beide setzten unser Vertrauen auf Gott und waren überzeugt, daß er uns nie im Stich lassen würde, solange wir uns ernsthaft bemühten, seinen Willen zu tun.
Im Jahr 1959 pachteten wir einen Hof in Homburg in der Ostschweiz. Er wurde uns für 31 Jahre zur Heimat. Am 6. März 1960 kam Josef, unser erster Sohn, zur Welt. Auf ihn folgten noch sechs Jungen und ein Mädchen, Rahel. Maria war eine gerecht denkende, unparteiische Mutter mit tief verankerten Grundsätzen — ein echter Segen für die Familie.
Die Suche nach der biblischen Wahrheit
Mit der Zeit wurde unsere religiöse Unwissenheit immer unerträglicher. Ende der 60er Jahre besuchten wir Vorträge an der Katholischen Volkshochschule, die uns aber nur noch mehr verwirrten. Die Redner trugen ihre eigenen Ansichten vor, ohne sie biblisch zu begründen. Anfang 1970 dachte ich über Jesu Worte nach: „Was ihr vom Vater erbitten werdet, das wird er euch in meinem Namen geben. ... Bittet, und ihr werdet empfangen“ (Johannes 16:23, 24, EÜ).
Diese Zusicherung aus Gottes Wort veranlaßte mich, wiederholt zu beten: „Vater, wenn die katholische Kirche die richtige ist, so zeig es mir ganz klar. Ist sie aber die falsche, zeig es mir auch ganz klar, und ich werde es jedem sagen.“ Ich bat immer wieder, denn Jesus hatte ja in der Bergpredigt die Anweisung gegeben, ‘fortwährend zu bitten’ (Matthäus 7:7, 8).
Meine Gespräche mit Maria — vor allem über Änderungen der katholischen Lehre in den 60er Jahren, was beispielsweise die Verehrung der „Heiligen“ und das Essen von Fleisch am Freitag betraf — weckten schließlich Zweifel in ihr. Im Frühjahr 1970 beim Besuch der Messe betete sie einmal: „Gott, zeig uns doch bitte den Weg zum ewigen Leben. Wir wissen nicht mehr, welches der richtige Weg ist. Ich nehme alles auf mich, aber zeig uns den Weg für die ganze Familie.“ Ich wußte nichts von ihrem Gebet und sie nichts von meinem, bis wir merkten, daß unsere Gebete erhört worden waren.
Die biblische Wahrheit gefunden
Nachdem ich Anfang 1970 an einem Sonntag vormittag aus der Kirche zurückgekehrt war, klopfte es an der Tür. Ein Mann, der von seinem 10jährigen Sohn begleitet wurde, stellte sich als Zeuge Jehovas vor. Für ein biblisches Gespräch war ich gleich zu haben. Ich dachte, ich könne ihn leicht widerlegen, denn nach dem, was ich über Jehovas Zeugen gehört hatte, erschienen sie mir nicht sehr gut unterrichtet.
Unsere Diskussion dauerte zwei Stunden, führte aber zu keinem Ergebnis, und am nächsten Sonntag war es dasselbe. Ich war zu einem dritten Gespräch bereit, doch der Zeuge kam nicht. Zu Maria sagte ich, er habe sicher gemerkt, daß es keinen Zweck habe. Ich freute mich jedoch, als er zwei Wochen später wiederkam. Sofort sagte ich: „Seit 35 Jahren mache ich mir Gedanken über die Hölle. Es will mir einfach nicht in den Kopf, daß Gott, der Liebe ist, seine Geschöpfe so grausam quält.“
„Sie haben recht“, erwiderte der Zeuge. „Die Bibel lehrt nicht, daß die Hölle ein Ort der Qual ist.“ Er zeigte mir, daß sich das hebräische Wort „Scheol“ und das griechische Wort „Hades“ — in katholischen Bibeln oft mit „Hölle“ übersetzt — einfach auf das allgemeine Grab beziehen (1. Mose 37:35; Hiob 14:13; Apostelgeschichte 2:31). Er las auch Bibelstellen vor, nach denen die Menschenseele sterblich ist und die Strafe für Sünde der Tod ist, nicht Qual (Hesekiel 18:4; Römer 6:23). Nun wurde mir allmählich klar, daß ich mein Leben lang von falschen religiösen Lehren geblendet worden war. Ich fragte mich, ob noch andere Lehren der Kirche verkehrt seien.
Ich wollte nicht länger belogen werden und kaufte mir deshalb ein katholisches Bibellexikon und ein fünfbändiges Werk über die Geschichte der Päpste. Diese Bücher hatten die bischöfliche Druckerlaubnis. Als ich die Geschichte der Päpste las, wurde mir bewußt, daß einige von ihnen zu den schlimmsten Verbrechern der Welt gehörten. Und beim Prüfen des Bibellexikons erkannte ich, daß die Lehre von der Dreieinigkeit, dem Höllenfeuer, dem Fegefeuer und viele andere Kirchenlehren keine biblische Grundlage hatten.
Jetzt stimmte ich einem Bibelstudium mit Jehovas Zeugen zu. Maria machte zuerst nur anstandshalber mit, doch bald nahm sie sich das Gelernte zu Herzen. Nach vier Monaten trat ich aus der katholischen Kirche aus und teilte dem Pfarrer mit, daß unsere Kinder den Religionsunterricht nicht mehr besuchen würden. Am Sonntag darauf warnte er die Gemeinde vor Jehovas Zeugen. Ich bot an, meine Glaubensansichten mit der Bibel zu begründen, aber der Pfarrer wollte sich auf ein solches Gespräch nicht einlassen.
Danach machten wir rasch Fortschritte. Meine Frau und ich symbolisierten am 13. Dezember 1970 unsere Hingabe an Jehova durch die Wassertaufe. Ein Jahr später mußte ich wegen meiner christlichen Neutralität zwei Monate im Gefängnis zubringen (Jesaja 2:4). Es war nicht leicht, meine Frau auch nur für diese kurze Zeit mit acht Kindern allein zu lassen. Die Kinder waren erst zwischen vier Monate und zwölf Jahre alt. Außerdem hatten wir den Hof und das Vieh zu versorgen. Doch mit Jehovas Hilfe kamen sie ohne mich zurecht.
Die Königreichsinteressen vorangestellt
Ausgenommen wegen Krankheit versäumte nie jemand aus unserer Familie eine Versammlungszusammenkunft. Und wir teilten uns die Arbeit so ein, daß wir immer die großen Kongresse besuchen konnten. Die Kinder spielten auf dem Dachboden oft nach, was sie bei den christlichen Zusammenkünften beobachtet hatten. Zum Beispiel teilten sie sich gegenseitig Ansprachen zu und übten Darbietungen. Glücklicherweise reagierten sie alle positiv auf unsere christliche Unterweisung. Ich denke noch gern an den Kreiskongreß zurück, auf dem meine Frau und ich interviewt wurden und unsere acht Kinder — vom ältesten bis zum jüngsten — in einer Reihe saßen und aufmerksam zuhörten.
Unsere Hauptsorge galt der Erziehung unserer Kinder „in der Zucht und in der ernsten Ermahnung Jehovas“ (Epheser 6:4). Wir entschieden uns, den Fernseher abzuschaffen, und luden oft eifrige Christen in unser Haus ein, damit unsere Kinder von ihren Erlebnissen und ihrer Begeisterung profitieren konnten. Wir waren darauf bedacht, nichts Unüberlegtes zu sagen und andere nicht zu kritisieren. Wenn jemand etwas Verkehrtes tat, sprachen wir darüber und suchten nach entlastenden Gründen. Wir bemühten uns, unseren Kindern zu helfen, verständig und gerecht zu urteilen. Besonders hüteten wir uns vor Vergleichen mit anderen Jugendlichen. Und wir erkannten, wie wichtig es ist, daß Eltern ihre Kinder nicht verwöhnen oder vor den Folgen ihrer Taten bewahren (Sprüche 29:21).
Dennoch war die Erziehung unserer Kinder nicht immer problemlos. Einmal wurden sie von Mitschülern angestiftet, sich in einem Laden Süßigkeiten zu nehmen, ohne dafür zu bezahlen. Als wir davon erfuhren, mußten unsere Kinder in das Geschäft zurückgehen, die Süßigkeiten bezahlen und sich entschuldigen. Das war ihnen sehr unangenehm, aber sie lernten eine Lektion in Ehrlichkeit.
Wir zwangen unsere Kinder nicht, uns bei der Predigttätigkeit zu begleiten, sondern gaben ihnen dadurch ein Beispiel, daß wir dieses Werk an die erste Stelle setzten. Die Kinder sahen, daß wir die Zusammenkünfte und den Predigtdienst der Arbeit auf dem Hof voranstellten. Jehova hat uns gewiß dafür gesegnet, daß wir uns bemüht haben, unsere acht Kinder in seinen Wegen zu erziehen.
Josef, unser ältester Sohn, ist ein christlicher Ältester und diente einige Jahre mit seiner Frau im Zweigbüro der Zeugen Jehovas in der Schweiz. Thomas ist Ältester und steht zusammen mit seiner Frau im Pionierdienst, wie der Vollzeitpredigtdienst genannt wird. Auch Daniel, der seine Karriere als Radsportler der Spitzenklasse aufgab, ist Ältester und steht gemeinsam mit seiner Frau in einer anderen Versammlung im Pionierdienst. Benno und seine Frau sind in der Zentralschweiz als Verkündiger tätig. Unser fünfter Sohn, Christian, dient in unserer Versammlung als Ältester. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Franz dient in einer Berner Versammlung als Pionier und Ältester, und Urs, der eine Zeitlang im Schweizer Zweigbüro diente, hat geheiratet und ist Pionier. Unsere einzige Tochter, Rahel, stand mit ihrem Mann ebenfalls mehrere Jahre im Pionierdienst.
Dem Beispiel meiner Kinder folgend, wurde ich nach meiner Pensionierung im Juni 1990 ebenfalls Pionier. Wenn ich auf mein Leben und das meiner Familie zurückblicke, kann ich aus Überzeugung sagen, daß Jehova unseren Weg geebnet und uns gesegnet hat, „bis kein Bedarf mehr ist“ (Maleachi 3:10).
Der Lieblingsbibeltext meiner lieben Frau ist: „Wirf deine Bürde auf Jehova, und er selbst wird dich stützen. Niemals wird er zulassen, daß der Gerechte wankt“ (Psalm 55:22). Und meiner lautet: „Habe Wonne an Jehova, und er wird dir die Bitten deines Herzens gewähren“ (Psalm 37:4). Wir haben beide erlebt, daß diese wunderbaren Worte wahr sind. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit all unseren Angehörigen Jehova, unseren Gott, ewig zu preisen. (Von Josef Heggli erzählt.)